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Ein Haus geteilt durch 8

Ein Haus geteilt durch 8

Titel: Ein Haus geteilt durch 8
Autoren: Horst Biernath
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So ging es Tag um Tag, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage natürlich: Kurz vor fünf zog Herr Emil Brieskorn, der Milchhändler, die Rolläden der beiden Schaufenster hoch, öffnete das Scherengitter der Ladentür und stellte die leeren Milchkannen an den Bordstein. Mit dem Glockenschlag halb sechs bog der Lieferwagen der Milchzentrale in die Mozartstraße ein, hielt vor Nummer 36, lud die vollen Kannen ab und die leeren auf und begab sich weiter auf die Runde. Im Laden brachte Frau Knopka den Fliesenboden und die Zinntheke noch einmal auf Hochglanz; sie war Brieskorns Schwägerin und führte ihm seit dem Tode seiner Frau die Wirtschaft und half auch im Laden mit, alles in der stillen Hoffnung, dereinst die Nachfolge ihrer verstorbenen Schwester anzutreten und Frau Brieskorn zu werden; denn ihr Mann hatte sie schon vor vielen Jahren als Witwe mit einer sehr kleinen Rente zurückgelassen. Brieskorn war ein Mann, der die Mitte der Fünfzig überschritten hatte. Ein Adonis war er auch in seinen besten Jahren nie gewesen. Frau Knopka, mit ihren einundfünfzig immer noch eine stattliche Erscheinung, vielleicht ein wenig zu üppig um die Mitte herum und auch weiter oben, fand, daß Brieskorn keine bessere Frau bekommen könne und daß sie beide ein gutes Gespann abgeben würden. Aber Brieskorn schien die Mühe, die sie sich um sein leibliches Wohl und um das Geschäft gab, nicht sonderlich zu bemerken oder nicht so hoch einzuschätzen, daß es ihr gelungen wäre, ihrem Ziel in den vergangenen fünf Jahren auch nur um einen Schritt näher zu kommen. Ihren vorsichtigen Anzapfungen wich der Witwer Brieskorn mit großer Beharrlichkeit und geradezu diplomatischem Geschick aus.
    Zur gleichen Zeit, wenn unten der Lieferwagen vorfuhr, läutete bei Holldorfs in der Mansardenwohnung im dritten Stockwerk des Hauses Mozartstraße 36 der Wecker. Keiner von jenen, die den Schläfer erst sanft mahnen, dann liebreich anstoßen und ihn erst dann, wenn diese Bemühungen vergeblich waren, mit voller Lautstärke aus dem Bett trommeln, sondern eines jener altmodischen, laut tickenden Werke mit zwei Glocken, die einen Höllenlärm vollführen. Wenn Friedrich Holldorf trotzdem ein paar Ermunterungspüffe von seiner Frau brauchte, um aus den Federn zu kommen, so gehörte das zum Morgenzeremoniell. Dafür gönnte er seiner Frau noch die Stunde Schlaf, bis es auch für sie Zeit wurde, die Kinder zu wecken und für die Schule fertigzumachen. Sein Frühstück stand bereits auf dem Küchentisch, und derweil er sich am Ausguß wusch, wärmte er den am Abend vorbereiteten Malzkaffee auf der Gasflamme. Zwanzig Minuten vor sechs war er fertig und schwang sich auf sein Fahrrad. Um Punkt sechs sperrte er seinen Laden auf. Er war Lagerverwalter der Baufirma Schwibus, eines mittleren Unternehmens, das seit dem Tode des Seniorchefs nicht gerade wackelte, aber auch nicht mehr recht vorankam. Der Sohn Schwibus, mit mehr Geschick zum Geldausgeben als zum Verdienen begabt, hatte sich im Vertrauen auf das Anhalten der Konjunktur im Lärchental vor der Stadt eine luxuriöse Villa gebaut und konnte es nicht leiden, wenn andere Wagen schneller waren als jener, den er fuhr. Seit einem Vierteljahr erschien er in einem Jaguar auf den Baustellen. Dieser Ehrgeiz machte dem Buchhalter und dem Steuerberater der Firma einige Sorgen.
    Frau Herta Holldorf weckte die Kinder kurz vor sieben. Zuerst den zehnjährigen Peter, der das lästige Anziehen und das noch ekelhaftere Waschen in halbem Trancezustand erledigte und erst richtig munter wurde, wenn es ans Vertilgen der Marmeladenbrote ging. Ein paar Minuten später stand die zwölfjährige Anna auf, die Frau Holldorf wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah und ihr auch im Wesen immer ähnlicher wurde, besonders in der Hartnäckigkeit, mit der sie verfolgte, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte. Das jedenfalls behauptete Friedrich Holldorf, Annis Vater. Seit Jahren quälte sie die Eltern zu allen Gelegenheiten, ihr einen Hund zu schenken. Auf ihren Weihnachtswunschzettel hatte sie, als sie noch nicht schreiben konnte, diesen Wunschhund wenigstens schon gemalt, und später führte >Ein
    Hund!< in Schönschrift geschrieben und mit vielen Ausrufezeichen versehen diese Zettel alljährlich an. Es kam die Eltern hart an, nicht weich zu werden. Seit Tagen bohrte Anni wieder besonders hartnäckig an den Gemütern der Eltern herum, denn ihr Geburtstag stand vor der Tür. Sie schlief sozusagen mit dem Wort Hund auf den
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