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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma
Autoren: Elizabeth Flock
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1. KAPITEL
    A ls Richard mich zum ersten Mal schlug, habe ich wie bei einem Zeichentrickfilm Sternchen vor den Augen gesehen. Es war allerdings nur eine Ohrfeige – nicht wie bei Tommy Bucksmith, dessen Vater ihn so verprügelte, dass sein Kopf regelrecht vom Steinpflaster abprallte. Ich schätze, Richard wusste nichts von den Saltos, die ich früher mit meinem Daddy machte. Wir hielten uns an den Händen, ich kletterte seine Beine hoch bis kurz übers Knie, drückte mich ab und machte eine Rolle durch das Dreieck, das unsere Arme bildeten. Das war total lustig. Ich versuchte Richard zu zeigen, wie das funktionierte. In diesem Moment lernte ich allerdings, dass es besser war, Richard in Ruhe zu lassen. Seither versuche ich, so selten wie möglich zu Hause zu sein.
    In einer Kleinstadt namens Toast kann man nicht verloren gehen. Ich weiß nicht, wie es woanders ist, aber bei uns sind alle Straßen danach benannt, was man dort vorfindet. Es gibt die Post Office Road und die Front Street, die direkt an den Vorderfronten der Ladengeschäfte vorbeiführt, die Back Street, eine Parallelstraße dahinter. Es gibt die New Church Road, obwohl die Kirche an deren Ende inzwischen nicht mehr neu ist. Dann die Brown’s Farm Road, wo Hollis Brown mit seiner Familie lebt, und davor lebten andere Browns dort, die Mama kannte und nicht sonderlich mochte. Es gibt die Hilltop Road und sogar die Riverbend Road. Also egal wohin man will, die Straßenschilder zeigen einem den Weg. Ich wohne in der Murray Mill Road. Nun würde man vermuten, dass mein Nachname Murray ist, aber der ist Parker – Mr. Murray starb lange bevor wir hier einzogen. Wir haben in dem Haus nichts verändert: Der Weg von der Route 74 besteht einfach nur aus Gras, das in zwei geraden Streifen wächst, sodass die Autoreifen von ganz allein wissen, wo sie entlang müssen. Das Erste, was man sieht, wenn man bis sechzig gezählt hat, ist die Mühle am Teich, die von alten Pfählen abgestützt wird. An einen Baum ist ein Brett festgenagelt, darauf steht in abgeblätterten Buchstaben: Fischen am Sonntag verboten. An einer Wand der Mühle hängt noch ein altes Schild von Mr. Murray, auf dem man einen gemalten Hahn sieht, der folgende Worte kräht: Fütter Nutrena … sicher, zuverlässig und günstig. Es ist nicht leicht, die Wörter zu entziffern, weil sich feiner roter Staub darüber gelegt hat. Aber den Hahn kann man noch ganz deutlich erkennen. Und an die Tür der Mühle ist ein Zettel geheftet: “Warnung: Es ist rechtswidrig, verdorbenes oder falsch gekennzeichnetes Getreide zu verkaufen, zu liefern oder zu lagern. Bei Zuwiderhandlung drohen 100 Dollar Bußgeld oder Gefängnis oder beides.” Den Satz habe ich in mein Schulheft abgeschrieben.
    “He!” Das Schulheft fliegt aus meiner Hand in den Schmutz.
    “Wette, das haste nicht kommen seh’n!” Richard lacht mich aus, als ich auf dem Boden herumkrieche, um das Heft wieder aufzuheben, bevor er es ergattern kann. “Muss ja was ziemlich Wichtiges sein, so wie du’s festhältst. Zeig mal.” Und bevor ich auch nur einen Pieps sagen kann, reißt er es mir aus der Hand.
    “Gib’s mir zurück.”
    “Collie McGrath spricht wegen dem Froschvorfall nicht mehr mit mir … was für ein Vorfall?” Er blickt von meinem Tagebuch hoch.
    “Gib es
zurück!”
Aber als ich versuche, es zu ergreifen, schiebt er mich zur Seite, blättert die Seiten durch und fährt mit seinen schmutzigen Fingern die Zeilen entlang. “Wo steh’ ich? Kann’s gar nicht erwarten zu lesen, was du alles über
mich
schreibst. Hmm.” Er blättert weiter. “Mama hier und Mama da. Jesus Christus, nix über deinen guten alten
Dad?”
    Er wirft es wieder auf den Boden, und ich muss verrückt sein, dass ich nicht warte, bis er gegangen ist, denn als ich mich danach bücke, stößt er mich mit seinem Stiefel in den Dreck.
    “Da! Jetzt haste was, worüber du schreiben kannst!”
    Ich lebe hier mit meinem Stiefvater Richard, meiner Mama und meiner Schwester Emma. Emma und ich sind wie Schneeweißchen und Rosenrot. Wahrscheinlich gefällt uns diese Gutenachtgeschichte deshalb auch am besten. Da geht es um zwei Schwestern: Eine hat ganz blasse Haut und blondes Haar (genau wie meine Mama), und die andere hat dunklere Haut und Haare so schwarz wie das Innerste im Auge (genau wie ich). Mein Haar ändert seine Farbe je nachdem, von wo aus man es betrachtet und wann. Von der Seite bei Tageslicht sieht mein Haar blauschwarz aus, aber abends von hinten sieht es
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