Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal
Autoren: Esi Edugyan
Vom Netzwerk:
Erster Teil: Paris 1940
    Chip hatte gesagt, wir sollten nicht rausgehen. Treibt es nicht auf die Spitze, Jungs. Aber es war so eine brutale Nacht gewesen, und wir waren immer noch beduselt von dem Roten. Der Rote war billig, der Wein der kleinen Leute, aber er haute so richtig rein. Sah nicht mal gut aus, so eine schlammige schwarze Brühe in der Flasche. Wie Sumpfwasser.
    Wir lagen ziemlich fertig in der Wohnung rum, die Fenster verdunkelt. Die Sonne ging auf, so heftig, dass das Licht durch die Ritzen drang und wie Stoff auf die Haut fiel. Ein paar Stunden vorher hatten wir in einem Hinterzimmerstudio gespielt und versucht, eine Platte aufzunehmen. So ein düsteres Loch, mehr eine Gespensterkammer als eine Bude, in der man Musik macht, überall auf dem buckligen Fußboden leere Flaschen. Unsere Zigaretten glühten wie kleine Löcher im Dunkeln, und schon daran konnte ich sehen, dass wir nicht gut drauf waren: Hieros Kippe bewegte sich überhaupt nicht, sie steckte zwischen seinen Lippen, als hörte er einfach nicht, was er zu tun hatte. Alle tigerten zwischen den Aufnahmen unruhig hin und her und horchten, wie die Ratten in den Wänden scharrten. Möglicherweise waren wir gar nicht mal so schlecht, aber ich zumindest hatte das Gefühl, dass ich von der Rolle war. Zu nervös, zu schreckhaft, zu sehr damit beschäftigt, die Tür im Auge zu behalten. Da half kein Roter. Es half nichts, dass wir von aller Welt weggesperrt waren. Schwitzend spielte ich jede Aufnahme bis zum Ende durch, nur um zu erleben, wie Hiero die verdammte Platte zerkratzte und sie in den Müll schmiss.
    »Das ist alles nur verdammt falsch«, murmelte Hiero jedes Mal. »Verdammt falsch .«
    »Wir spielen wie die Könige – nachdem der Mob sie ordentlich in die Mangel genommen hat«, sagte Chip.
    Coleman und ich ließen müde die Köpfe hängen.
    Aber Hiero wischte mit einem schmuddeligen Taschentuch über seine Trompete und warf Chip einen verächtlichen Blick zu. »Ja, Mann, Scheiße, aber sogar sauschlecht sind wir noch genial.«
    Das beeindruckte mich wenig. Die ganze Zeit hatte er sich ständig beklagt, wie furchtbar schlecht wir waren. Hatte sich die Platten geschnappt, mit dem Taschenmesser den Lack zerkratzt und sie kaputt gemacht. Hatte geschrien, das taugt nichts. Aber da war was. Eine Art schräge Schönheit.
    Eigentlich wollte ich es gar nicht, aber als er mir den Rücken zudrehte, schlüpfte ich aus meiner Weste, nahm vorsichtig die letzte Platte – die frisch geschnittenen Rillen waren sehr empfindlich –, und wickelte sie in den Stoff. Nervös schaute ich mich um, dann versteckte ich das Bündel in meinem Basskasten. Die anderen waren damit beschäftigt, ihre Instrumente einzupacken.
    »Wo ist die letzte Aufnahme hingekommen?« Hiero runzelte die Stirn. Er lugte in den Mülleimer auf all die kaputten Platten.
    »Da drin«, sagte ich. »Du wolltest sie ja nicht, oder?«
    Er warf mir einen mürrischen Blick zu. »Nein, es hat keinen Sinn. Wir kriegen das sowieso nie richtig hin.«
    »Was soll das heißen, Mann?«, fragte Chip. Er lallte ein bisschen. »Willst du damit vielleicht sagen, dass wir es aufgeben sollen?«
    Der Junge zuckte die Achseln.
    Wir stellten die leeren Flaschen ordentlich an der Wand entlang auf, sperrten ganz leise zu und machten uns dann getrennt voneinander auf den Weg zurück zu Delilahs Wohnung. Es herrschte Ausgangssperre. Paris war still und düster, nichts als dunkle Schatten und abgestandene Luft. Ich ging verstohlen durch die Gassen, immer in der ängstlichen Erwartung, dass sich plötzlich Schritte nähern könnten, bis wir uns alle wieder in der Wohnung trafen. Alle außer Coleman, versteht sich: Coleman übernachtete bei seiner Freundin. Wir ließen uns auf den dreckigen Sofas vor den Verdunkelungsvorhängen nieder.
    Ich hatte meinen Basskasten in eine Ecke gestellt. Mir war, als könnte ich die verdammte Platte da drinnen, immer noch warm, spüren, so intensiv, dass ich es seltsam fand, dass die anderen es nicht auch fühlten.

    Wir lebten dort zu viert. Delilah, Hieronymus, Chip und ich. Vor ein paar Monaten hatten wir einen Tag damit verbracht, schwarzen Stoff vor die Fenster zu nageln, aber diese düstere Sonne sickerte trotzdem irgendwie durch. Die Wohnung war seit Wochen nicht gelüftet worden – nicht der rechte Ort zum Nüchternwerden. Wir brauchten frische Luft, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
    Hiero fläzte in seinem Sessel, seine sehnigen Beine von sich gestreckt. Plötzlich drehte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher