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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal
Autoren: Esi Edugyan
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er sich nach mir um, sein Gesicht dunkel und glatt wie eine Aubergine. »Mann, ist mir schlecht! Meine Innereien bestehen nur noch aus Brei.«
    »Amen«, sagte ich.
    »Mann, was ich jetzt brauche, ist Milch .«
    »Amen«, sagte ich noch einmal.
    Wir sprachen so ein komisches Mischmasch aus Deutsch
und Baltimore-Slang, nur hin und wieder ein Brocken Französisch. Außer Englisch konnte ich eigentlich nur Hochdeutsch. Aber wenn ich mal damit angefangen hatte, die Sprachen durcheinanderzubringen, konnte ich nicht mehr damit aufhören. Im Übrigen wusste ich, dass es Hiero so lieber war. Der Junge stammte aus dem Rheinland, aber er hatte das alte Baltimore im Blut. Jedenfalls redete er so.
    Er war eben noch jung. Passte sich an.
    Trotzdem, in letzter Zeit hatte sich bei ihm etwas verändert. Er war zu nichts mehr zu gebrauchen, seit die Deutschen über die Stadt gekommen waren, hatte tagelang nur immer lasch rumgelegen. Und wenn er mal auf die Beine gekommen war, hatte er etwas Düsteres an sich gehabt. Ich erkannte ihn dann fast nicht wieder.
    Aus dem Augenwinkel warf ich einen verstohlenen Blick auf meinen Bass und dachte an die Platte. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, jedenfalls nicht deswegen.
    Hiero rutschte von seinem Sessel auf den abgetretenen Teppich. »Hey, Sid«, stöhnte er. »Ich brauch Milch.«
    »Ist im Schrank, glaub ich. Haben wir noch Milch, Chip?«
    Aber Chip blinzelte nur matt mit einem braunen Auge wie einer, der am Ertrinken ist. Sein Gesicht war in diesem Licht dunkel wie Asche.
    Hiero hustete. »Ich brauch was für meinen Magen, aber nichts, was ihn noch mehr aufregt.« Sein linkes Auge zuckte ganz leicht oben unter dem Lid, so wie man manchmal das Herz einer dünnen Frau durch die Bluse hindurch schlagen sieht. » Milch hab ich gesagt, Mann, Sahne . Nicht dieses Pulverzeug, das gleich wieder auf der anderen Seite rauskommt, als würdest du Sand scheißen.«
    »Na, so schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte ich. »Und
um diese Zeit hat nichts offen, das weißt du doch. Höchstens das Coup . Aber das ist verdammt weit weg.« Eine Minute lang lagen wir schweigend da. Ich legte meinen Arm über mein Gesicht, und da merkte ich, dass meine Haut nach ranzigem Essig stank – das kam von dem Roten.
    In dem schwachen Licht konnte ich schattenhaft die paar Stühle sehen, die noch übrig waren. Es war ein absurdes Bild: Sie drängten sich um den Kamin wie eine Schar Gänse, die Schutz vor dem Mann mit dem Hackmesser suchen. Na ja, sie waren eben der traurige Rest. Die Wohnung war früher eine großartige Angelegenheit gewesen, lauter Louis-quatorze-Stühle, Kristallleuchter aus Murano, Tapisserien aus Aubusson, die Decken so hoch wie in einer Bahnhofshalle. Aber der Vermieter, ein Graf, hatte Delilah gedrängt, möglichst viel von dem ganzen Zeug zu verkaufen, als die Krauts anrückten. Offenbar war ihm das immer noch lieber, als es denen in die Hände fallen zu lassen. Und jetzt, wo die Wohnung fast leer war, spürte man nur noch die Weite des Raums, als wäre man auf einer einsamen Insel gestrandet. Nichts als Dunkelheit um einen herum.
    Auf der anderen Seite des Zimmers fing Chip leise zu schnarchen an.
    Ich warf Hiero, der sich wieder in seinem Sessel zusammengekauert hatte, einen Blick zu. »Junge«, sagte ich mit belegter Stimme. »Hey, Junge.« Ich legte eine Hand auf meinen Kopf. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst, dass wir das mit der Platte aufgeben sollen. Wir sind ganz nah dran, das weißt du.«
    Hiero öffnete den Mund, rülpste.
    »Dir auch einen guten Morgen«, sagte ich.
    Er schien mich nicht gehört zu haben. Ich sah, wie er sich
hochwuchtete; der Sessel stöhnte wie ein alter Maulesel. Dann setzte sich der Junge schwankend und stolpernd in Bewegung; er wollte zur Tür, dachte ich, aber es sah eher so aus, als steuerte er auf den Kamin zu. Er rammte mit der Schulter eine Wand.
    Dann tauchte er ab, krabbelte auf dem Fußboden herum. 
    »Was machst du da eigentlich?«, fragte ich. »Hey, Hiero, was hast du vor?«
    »Was ich mache? Was soll das? Hast du noch nie einen Menschen gesehen, der sich seine Schuhe anzieht? Pass auf, jetzt wird’s gleich spannend. Als nächstes zieh ich meinen Mantel an.«
    Hiero, immer noch am Boden, kämpfte mit seinem alten Hahnentrittmantel, dessen Ärmel heillos verdreht und verschlungen waren. »Ich brauch ein bisschen Tageslicht, und zwar sofort.«
    Ich zog meine Uhr heraus und starrte sie eine Weile an, bis ich endlich daraus schlau wurde. »Aber
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