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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal
Autoren: Esi Edugyan
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wischen.
    Aber dann fiel mir dieser Typ auf, der im kalkweißen Licht des Fensters saß: Sein Gesichtsausdruck war viel zu heiter. Mir lief es kalt über den Rücken.
    Dann setzten die Stimmen wieder ein, und ich schaute auf.
    Zwei Deutsche in bleichen Uniformen. Normalerweise waren sie einfarbig schwarz – bei Nacht sah man nichts als ein gespenstisch weißes Gesicht und eine blutfarbene Armbinde, die übers Pflaster auf einen zu kamen. Aber das machte keinen Unterschied: Es waren Deutsche.
    Einer war groß und mager, ein dürrer Ast, der andere klein
und dick. Er stand mit dem Rücken zu mir; ich konnte eine muskulöse Speckrolle in seinem Nacken sehen.
    Ich wandte den Blick ab und ließ ihn, als passierte es mir zum ersten Mal, zu Hiero weiterwandern. Er stand drüben an der Eingangstür und starrte die Uniformierten an. Neben ihm stand ein Typ in seinem Alter, Jude, vermute ich, im Gesicht ein Ausdruck von Schrecken und Trotz. Der große Deutsche blätterte betont lässig seine Papiere durch, ohne ein Wort zu sagen. Er leckte einfach nur seinen Daumen, blätterte eine Seite um, leckte, blätterte weiter. So als könnte er einen ganzen Sommertag damit zubringen. Ich beobachtete sein unbewegtes graues Gesicht. Ein Gesicht wie tausend andere. Das eines Menschen, der einfach seine Arbeit macht.
    »Ausländer«, sagte der kleinere Deutsche so ruhig und leise, dass ich es fast nicht verstand. »Staatenloser Neger.«
    Hiero und dieser jüdische Junge ließen die Arme runterhängen wie trotzige Schulbuben. Es tat richtig weh, die beiden so zu sehen, hilflos und in Panik. Ich konnte sie nur undeutlich sehen, weil sie vor dieser gleißend hellen Glastür standen, aber ich konnte sie hören, ich konnte sie atmen hören.
    Auch die Stimme des großen Deutschen klang ruhig. Es war sonderbar, wie die zwei Deutschen redeten, so höflich und wohlerzogen, man hätte meinen können, sie unterhielten sich über das Wetter. Sie benahmen sich ganz anders als in Berlin. In ihrem ganzen Verhalten brachten sie sogar eine Art leises Bedauern zum Ausdruck, als wären sie im Grund ihres Herzens anständige Leute, die aber in diesen rauen Zeiten nun einmal nicht anders konnten. Und diese Höflichkeit, dieser zivilisierte Ton jagte mir mehr Angst ein als offene Gewalt. Es kam mir vor wie eine neue Form von Brutalität.
    »Ausländer«, sagte der Kleine leise. »Hottentotte.«
    »Staatenlos«, sagte der andere. »Ausländer«, sagte er, »Jude« und »Neger«.
    Ich wollte nicht mehr hinsehen. Meine Beine fingen zu zittern an, ich spürte meine Füße nicht mehr. Bleib stehen, Junge, sagte ich zu mir selbst, verdammt, kipp jetzt bloß nicht um. Reiß dich zusammen, um Gottes willen, und sieh zu, dass du hier wegkommst.
    Ich stand da wie angewurzelt.
    Hieronymus starrte die Deutschen an. Aber ihre Blicke waren stärker, und er schlug die Augen nieder. Kein einziges Mal schaute er in Richtung der Toiletten, und da verstand ich, dass er mich beschützte. Dieser Junge beschützte mich! Das konnte ich nicht zulassen.
    Aber in diesem Augenblick stießen die Deutschen die Tür des Coup auf, dass die Kette klirrte. Sie fassten Hiero und den anderen Jungen beim Arm und führten sie ab. Ich stand da. Meine herunterhängenden Hände fühlten sich seltsam schwer an, meine Brust schien voller Wasser. Ich stand da und sah Hiero nach.
    Die Tür fiel scheppernd zu. Die Lichter im Café waren immer noch alle an. Es war still, keiner redete.
    Der Typ, den ich vorher gesehen hatte, der die ganze Zeit fast fröhlich dreingeschaut hatte, stand auf und ging zum Tresen. Er zählte Münzen ab und stellte sie in einem Stapel auf das Mahagoni. Er sagte etwas zum Barkeeper.
    Der strich das Geld ein und drehte sich um zur Kasse. Der Mann ging in einem Bogen um die Tische herum zum Ausgang, seine Absätze schrammten über den Boden. Keiner redete, alle schauten ihm nach. Und dann klirrte heiter die Kette, und die Tür fiel hinter ihm zu.

Zweiter Teil: Berlin 1992
    Chip rief an, um zu sagen, dass er vorbeikommen wollte, und ich sagte Klar, Mann, jederzeit .
    Alle Lichter waren an in meiner Bude in Fells Point, und auf dem Flokati in meinem kleinen Wohnzimmer lagen Klamotten und Aktenordner und alles mögliche andere Zeug herum, als ich das Klopfen an der Tür hörte. Ich hatte den Müll eines ganzen Lebens rausgezerrt und überall rumgestreut und versuchte mich zu entscheiden, was ich einpacken wollte und was nicht. Wir wollten nämlich am nächsten Tag losfliegen. Ich
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