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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal
Autoren: Esi Edugyan
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ging durch den Flur, vorbei an Stapeln vergilbter Zeitungen und schwarz gerahmten Fotos. Vierundvierzig Jahre lebte ich schon hier. Lolas Vater hatte die Wohnung nach dem Krieg für uns gekauft, und als sie fünf Jahre nach der Hochzeit gestorben war, hatte ich sie geerbt.
    Die Tür klemmte, man musste ordentlich an dem alten Messinggriff reißen, damit sie aufging. Und da stand er vor mir, mein ältester Freund. Ziemlich verfallen sah er aus, sein Gesicht eingeschrumpft und mit großen Poren übersät.
    Er grinste. »Mann, Sid, räumst du eigentlich nie auf? Du scheinst total zu verlottern, so wie’s hier aussieht.« Er machte einen Schritt über den abgetretenen Fußabstreifer. Sein Gesicht über dem blütenweißen Hemd wirkte dunkel. Er hatte so eine dröhnende Stimme: Wenn er sprach, schien die Luft auf allen Seiten zurückzuweichen. Eine ganz schöne Leistung, wenn man bedenkt, dass Chip Jones ohne Hut und Schuhe gerade mal eins sechzig groß war.
    »Verlottern! Das musst gerade du mir sagen.« Ich nahm
ihm den schwarzen Mantel ab und hängte ihn auf. »Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut? Dein Gesicht sieht aus wie die Handtasche einer alten Frau.«
    »Wem erzählst du das?« Chip rieb sich mit seinen großen Händen die Wangen. »Mein Gesicht wird andauernd verwechselt. Auf dem Weg hierher hat mich sogar ein Handtaschenräuber überfallen.«
    »Mann, du bist echt witzig«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter. »Immer gut drauf. Du hast schon gepackt, nehme ich an.«
    Er zuckte die Achseln. »Man muss erst mal auspacken, bevor man packen kann.« Er ließ seinen Blick theatralisch über das Durcheinander auf dem Boden schweifen. »Aber offensichtlich weißt du das schon.«
    Ich ließ Chip in dem Chaos im Wohnzimmer Platz nehmen und ging hinüber in die Küche.
    »Was willst du trinken?«, rief ich. »Scotch?« Als er nicht antwortete, lehnte ich mich durch die Tür. »Willst du einen Scotch?«
    Er blickte auf. »Was?«
    »Mit der Zeit geht einem Schlagzeugspielen auf die Ohren, oder? Kann es sein, dass du ein bisschen taub geworden bist?«
    Er lächelte. »Ja, nur ein bisschen. Was sagst du?«
    »Wie wär’s mit einem Scotch?«
    Er leckte sich die alten Lippen. »Dazu hab ich noch nie nein gesagt.«
    Mir wurde ganz elend, als ich ihn so sah. Ich wusste, dass sein Gesicht nicht nur deswegen so aussah, weil er müde war. Die Drogen forderten endlich ihren Tribut. Jahrzehntelang war er heroinabhängig gewesen, erst vor fünfzehn Jahren
war er von dem Zeug losgekommen. Er war nun schon so lange clean, dass ich ganz vergessen hatte, dass er jemals süchtig gewesen war, und auch jetzt wollte es mir einfach nicht in den Kopf. Wenn man Chip in seiner Jugend gekannt hatte, konnte man sich das einfach nicht vorstellen. Er war so was von zugeknöpft, wenn es um illegale Drogen ging, richtig prüde, damit wollte er nichts zu tun haben. Na ja, jedenfalls war ich ziemlich schockiert, als ich die Folgen der Sucht, die er längst überwunden hatte, in seinem Gesicht sah. So geht es eben, denke ich, wenn einen die Vergangenheit einholt.
    Ich schenkte zwei Scotch ein, auf ganz wenig Eis. »Meinst du, das Hound gibt es noch?«, fragte ich.
    »Wo? In Berlin?«
    Ich lächelte und setzte mich.
    »Nein«, sagte Chip. »Von der Zeit ist nicht mehr viel übrig. Du wirst es nicht wiedererkennen.«
    »Tja«, sagte ich, »ich hatte eigentlich nie vorgehabt, wieder hinzufahren.«
    Chip hob sein Glas.
    »Prost«, sagten wir beide gleichzeitig und stießen an.
    »Hast du den Film schon gesehen?«
    Chip schüttelte den Kopf. »Nein. Caspars hält ihn unter Verschluss bis zum Festival. Wie schlecht kann er sein, was meinst du?«
    »Oh, verdammt schlecht. Wie du es geschafft hast, mich zu überreden, ist mir ein Rätsel.«
    Er grinste. »Das macht mein schönes Gesicht, denke ich.«
    »Ja«, sagte ich, »Das muss es sein.«
    Eine Weile schwiegen wir. Ich muss noch erklären, warum Chip in dieser Umgebung einen so sonderbaren Anblick bot.
Wenn auch sein Gesicht sich schon in seine Bestandteile aufzulösen begann, war er doch immer noch adretter als alles andere in meinem Haus. Wenn ich mir den todschicken marineblauen Anzug, den er trug, hätte kaufen wollen, hätte ich eine Hypothek auf meine Wohnung aufnehmen müssen.
    Er sagte immer: Weißt du, Sid, auch wenn man kein Adeliger ist, kann man sich doch so gut anziehen, als wäre man einer, und die Leute verwirren. Und darum trat er, selbst wenn er sich das eigentlich gar
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