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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal
Autoren: Esi Edugyan
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dass die Leute mich oft für einen Weißen hielten. Meine Eltern waren beide ziemlich helle Mulatten aus Baltimore und haben mir glattes Haar und grüne Augen vererbt. Ich sah als Kind aus wie ein kleiner Spanier, weswegen ich es in Baltimore leichter hatte als manche andere. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, das sei in Berlin anders gewesen. Wenn wir dort zusammen unterwegs waren, wandten sich die Krauts, mit denen wir zu tun hatten, immer zuerst an mich, und wenn Hiero sich dann in akzentfreiem Deutsch einmischte, waren die Leute jedes Mal wie vom Schlag getroffen. Aber den meisten passte es nicht so richtig, dass ein Wilder so redete, als wäre er zivilisiert. Man sah dieses Glitzern in ihren Augen, als würde ein Messer umgedreht.
    Um alldem zu entkommen, flohen wir nach Paris. Aber wir wussten, dass das Chaos früher oder später auch in Lilahs ausgeweidete Wohnung vordringen würde. Vor seinem Schicksal kann man nicht davonlaufen. Manchmal, wenn ich durch die Vorhänge in die leere Rue de Veron schaute, sah ich unser altes Berlin vor mir, in der Nacht, in der alle
Scheiben in unserer Straße kaputtgingen. Wir waren in Ernsts Wohnung in der Fasanenstraße gewesen und hatten ordentlich einen draufgemacht, und als wir durch die Vorhänge rausschauten, sahen wir Szenen wie bei einem Karneval. Flammen erleuchteten die Stadt, Menschengedränge in den Straßen, überall zerbrochenes Glas. Wir gingen runter; die Straße fühlte sich an wie ein Kiesweg, bei jedem Schritt, den man tat, knirschten die Scherben. Die Synagoge an der nächsten Querstraße brannte lichterloh. Wir sahen Feuerwehrleute, die mit dem Rücken zu den Flammen standen und Wasser auf die umliegenden Gebäude spritzten, damit das Feuer sich nicht ausbreitete.
    Ich erinnere mich, dass die Leute alle ganz still waren. Das Licht des Feuers spiegelte sich in der nassen Straße, Wasser aus den Schläuchen der Feuerwehr floss über den Rinnstein in die Gullys. Hier und da sah ich Zähne, die wie Opale schimmerten, auf den schwarzen Pflastersteinen liegen.

    Hiero und ich gingen schweigend durch die grauen Straßen von Montmartre. Früher war das mal die Heimat eines Jazz, der so frisch und jung war, dass er jeden mitriss, ob man wollte oder nicht. Und dann verschwand er von einem Tag auf den nächsten, und in den Lokalen gurrten nur noch gut genährte Tussen mit zerrissenen Strümpfen schreckliche Liedchen für die Kerle von der Gestapo. Wir nahmen Seitenstraßen, um nicht an diesen Schuppen vorbeizukommen, aus denen selbst zu dieser Tageszeit noch Musik drang. Es war kühl, und Hiero schob seine Hände so tief in die Achselhöhlen, dass er aussah, als hätte er Flügel. Der Tag brach an, der Himmel sah seltsam ledrig braun aus. Überall stank es nach Dreck. Ich blieb etwas zurück und schaute auf meine
Taschenuhr. Irgendwie, ich weiß nicht warum, kam es mir so vor, als ginge sie nach.
    »Horch mal. Tickt die zu langsam, was meinst du?« Ich hielt ihm die Uhr ans Ohr.
    Er wich nur zurück und schaute mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.
    Hohe Wohnhäuser ragten dunkel auf beiden Seiten der Straße auf und warfen lange Schatten. Mir wurde zunehmend unwohl. »Mann, um diese Zeit hat doch nichts offen. Was wollen wir hier, Hiero? Was soll das?«
    »Das Bug ist offen«, sagte der Junge. »Es hat immer geöffnet.«
    Ich hörte nicht zu. Ich hielt nach allen Seiten Ausschau und fragte mich, was wir tun sollten, wenn plötzlich ein Deutscher um die Ecke bog. »Hey, kannst du dich noch an diese tolle Frau erinnern, die wir mal im Club Noiseuse gesehen haben? Sie trug einen Herrenanzug.«
    »Fängst du schon wieder mit dieser Transe an!« Hiero schritt mit seinen sehnigen Beinen die Straße entlang. »Jedes Mal wenn du Roten getrunken hast, fängst du an, von diesem Kerl zu faseln.«
    »Sie war kein Kerl, sie war eine Frau!«
    »Du meinst den Typen in dem grünen Anzug? Direkt vor der Bühne?«
    »Sie war eine Venus , Mann, das Beste vom Besten.«
    Hiero lachte. »Ich hab dir schon mal gesagt, das war eine Transe, ein Mann. Das war sowas von eindeutig, als hätte ich’s auf seinen haarigen Arsch geschrieben gesehen.«
    »Du musst es ja wissen, du kennst dich offenbar genauestens aus mit haarigen Ärschen.«
    »Du hast keine Ahnung, Sid. Aber mach nur ruhig so wei
ter, du wirst schon sehen, wohin das führt. Irgendwann landest du noch mal mit einem Nazi im Bett.«
    Wir bogen um die Ecke auf einen weiten Platz, da fing plötzlich
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