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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal
Autoren: Esi Edugyan
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doch nicht zu dieser Zeit, Mann. Du hast ja nicht mehr alle.«
    Er sagte nichts.
    »Warte wenigstens, bis Lilah wach ist. Sie bringt dich hin.«
    »Ich warte nicht mal, bis mein eingeschlafener Fuß wach ist.«
    »Du musst ihr zumindest sagen, was du vorhast.«
    »Ich muss überhaupt nichts.«
    Vom Fenster her war ein leises Seufzen zu hören. Chip hob den Oberkörper ein bisschen und stützte sich auf den Ellbogen, als posierte er für einen Bildhauer. Seine Augen waren glasig, seine Lider flatterten wie Motten. Dann kippte sein Kopf nach hinten, sodass die Kehle freilag. »Geh bloß
nicht raus, verdammte Scheiße.« Es sah aus, als redete er mit der Decke des Zimmers. »Leg dich hin und schlaf, sonst werd ich ungemütlich.«
    »Ja, so ist’s richtig.« Hiero grinste. »Das soll sie sich gesagt sein lassen, die blöde Decke.«
    »Wurde auch Zeit, dass endlich mal jemand dem ollen bröckeligen Putz Kontra gibt«, sagte ich.
    Aber Chip war schon wieder zurückgesunken und schnarchte weiter.
    »Los, geh zu Lilah und weck sie auf«, sagte ich zu Hiero.
    Hiero stand schon vor der Tür. Sein mageres Löwengesicht glotzte mich an. »Was ist das für ein Leben, wenn du ohne Kindermädchen nicht mal auf die Straße gehen darfst, um Milch zu kaufen?« Er stand schief unter dem Hutständer, als lehnte er sich gegen einen Windstoß, der ihn umzuwehen drohte. »Hör mal, Sid: Was, meinst du, könnte Lilah schon unternehmen, wenn wirklich was passieren würde? Soviel ich weiß, hat sie keinen Speziallippenstift, mit dem sie uns den Weg freischießen kann.«
    »Das ist doch einfach zu blöd, Junge.« Ich schaute weg. »Du weißt doch genau, dass du keine Papiere hast. Was machst du, wenn du angehalten wirst?«
    Er zuckte die Achseln. »Ich geh doch bloß zum Bug , das ist ganz nah.« Er drückte die Tür auf und trat leicht schwankend hinaus ins schummrige Treppenhaus.
    Ich starrte in das Halbdunkel. Mir war nicht wohl in meiner Haut. Bug , so nannten wir das nächste Bar Tabac in der Straße. Es lag wirklich nicht weit entfernt, nur ein paar Häuserblocks.
    »Also gut«, murmelte ich. »Warte, ich komm mit.«
    Er legte seine schlanke Hand auf den Türknauf, als wäre
das der Anker, der ihn hier festhielte. Ich dachte: Dieser Junge ist dein Tod, Sid.
    Der Junge verzog das Gesicht. »Wartest du auf eine schriftliche Einladung? Los, gehen wir.«
    Ich rappelte mich auf, tastete nach meinem zweiten Schuh.
    »Es wird überhaupt nichts passieren«, fügte er hinzu. »Alles bestens. Zu dieser Zeit ist kein Mensch unterwegs.«
    »Der Mann ist so was von sicher«, sagte ich. »Hör dir den an: Der weiß es ganz genau.«
    Hiero lächelte. »Klar, Sid, ich hab einen Schutzengel. Bleib einfach immer in meiner Nähe.«
    Und schon stolperten wir im Dunkeln die breite Marmortreppe hinunter und hinaus auf die graue Straße.
    Der Junge hatte so was an sich, so eine majestätische knochige Gestalt und so verdammt würdig , und wenn er einen anschaute wie ein Kind, das am Verhungern ist, dann brachte man es einfach nicht übers Herz, ihm einen Wunsch abzuschlagen. Chip zum Beispiel. Dem war es früher immer entsetzlich auf die Nerven gegangen, dass man ihn wie einen kleinen Jungen behandelt hatte, und jetzt betüttelte er Hiero, als wäre er seine zweite Mutter. Als ich jetzt dem Jungen zusah, wie er seine schäbige Pennermütze aufsetzte und hinaustrat, dachte ich: Auf was hab ich mich da wieder eingelassen? Ich war der Ältere und trug die Verantwortung, glaubte ich, aber ich trottete hinter dem Jungen her wie ein Schoßhündchen. Verdammt, Delilah würde mir den Kopf abreißen.

    Normalerweise gingen wir untertags gar nicht aus dem Haus. Auf keinen Fall ohne Delilah, nie dieselbe Route hin und zurück und unter gar keinen Umständen zur Rue des Saussaies oder zur Avenue Foch. Aber Hiero war, als die Besetzung
zum Dauerzustand wurde, verwegen geworden. Er war ein »Mischling«, ein Mulatte, aber so dunkelhäutig, dass kein Mensch je auf auf die Idee gekommen wäre, ihn für den Sohn einer weißen Rheinländerin zu halten. Seine Haut glänzte wie Öl, aber er war Deutscher von Geburt. Und wenn auch sein Gesicht nichts davon verriet, so wurzelte doch so ziemlich alles andere an ihm fest in deutscher Erde. Wenn man noch dazu bedenkt, dass er derzeit keinerlei Ausweispapiere besaß, dann wird einem schnell klar, dass es für ihn, sagen wir mal, nicht ganz ungefährlich war, auf die Straße zu gehen.
    Und ich? Ich war Amerikaner und so hellhäutig,
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