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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Normalbürger zu treffen.
    Rick hätte Leslie ja selbst im Internet kontaktiert, aber sein PC hat vor Ewigkeiten den Geist aufgegeben und sammelt nun draußen auf seinem Balkon Vogelscheiße und Grus an. Die verblichene Tastatur dient als Deckel für die Dose mit Proteinpulver auf seiner Küchentheke; der ursprüngliche Deckel musste schon vor langem als Frisbee für Rain Mans Rottweiler herhalten, der ihn zu einem roten, gummiartigen Spitzendeckchen zerkaut hat, wobei Rick der Gedanke kommt: Mann, Rick, an welchem Punkt hat es angefangen schiefzulaufen? An welchem Punkt hast du dich von einer guten Geschichte in ein warnendes Beispiel verwandelt? Bei den Biographien von Menschen sollte es keine Moral von der Geschichte geben – es sollten Geschichten ohne Zeigefinger sein, die man zum puren Vergnügen erzählt.
    Aber das Leslie Freemont Power Dynamics Seminar System kann alles Mitleiderregende aus Ricks Leben nehmen, und Leslie wird jeden Moment eintreffen. Rick weiß das, weil Leslies Pressefrau, Tara, angerufen hat, um ihm zu sagen, dass Leslie Rick persönlich die Hand schütteln will, und dann soll ein Foto gemacht werden, auf dem er von Rick die achttausendfünfhundert Dollar in bar entgegennimmt. Rick fühlt sich fast wie früher, wenn er seinen dritten Drink halb geleert hatte, sein Lieblingsmoment, so, wie er sich alle Momente im Leben wünschen würde: gekennzeichnet von dem Hochgefühl, dass jeden Augenblick alles Mögliche passieren kann – dass es wichtig ist, hellwach zu sein, denn genau dann, wenn man am wenigsten damit rechnet, könnte man genau das bekommen, womit man am wenigsten gerechnet hat.
    Rick sagte zu der Frau: »Wo sind wir denn hier gelandet – etwa in einem Bob-Hope-Film?«
    Die Frau an der Theke, eine hübsche kleine Brünette, sah Rick an. »Sehr witzig. Ist es so seltsam, dass ein Mädchen einen Singapore Sling bestellt?«
    »Den muss ich erst hinten in meinem Cocktail-Handbuch nachschlagen.«
    »Sparen Sie sich die Mühe. Ich google es mit meinem Dings hier. Augenblick … ah ja … also: Man nimmt 3 cl Gin, 1,5 cl Cherry Brandy, 12 cl Ananassaft, den Saft einer halben Limette, einen Spritzer Cointreau, 3/4 cl Benedictine, 3/4 cl Grenadinesirup und einen Spritzer Angostura.«
    Rick betrachtete die Frau. »Sie haben hier ein Internetdate, stimmt’s?«
    Seine Kundin nickte wie ein Huhn: »Sie sind gut , Süßer. Wie konnten Sie das wissen ?«
    »So was seh ich immer. Wo kommen Sie her?«
    »Winnipeg, aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
    »Okay, Sie haben gefragt, dann sag ich’s Ihnen. Dass Sie zu einem Internetdate hier sind, erkenne ich daran, dass Sie in straffer Haltung auf einem Barhocker sitzen, aber keine Prostituierte sind. Internetdates setzen sich nie in eine Nische mit Tisch, weil man darin traurig und verzweifelt aussieht, aber ein Barhocker – vor allem, wenn man wie Sie schöne Beine hat, wenn ich das sagen darf – signalisiert dem Neuen: ›Los, lass uns zur Sache kommen.‹ Außerdem haben Sie nur eine kleine Reisetasche dabei, was bedeutet, dass Sie höchstwahrscheinlich nicht hier im Hotel oder in irgendeinem anderen übernachten.«
    Die Frau fragte: »Wie laufen diese Dates denn normalerweise, so im Allgemeinen?«
    »Entweder ganz oder gar nicht. Irgendwas dazwischen gibt’s nicht. Es macht entweder klick, und sie sind in null Komma nichts ab nach oben, oder sie sitzen eine Dreiviertelstunde über einem Drink der Verdammnis, auf den dann etliche einsame Gläser desjenigen folgen, der zurückbleibt, während der andere schon im Flugzeug nach Hause sitzt.«
    »Dann will ich mal hoffen, dass mir der Drink der Verdammnis erspart bleibt.«
    Rick schaute durch den Raum mit seinen tristen, uneinheitlichen grauen Möbeln und Dekostoffen. Sein Blick blieb an der erstaunlich attraktiven jungen Frau – neunzehn? – hängen, die seit einiger Zeit die weltschrottigste Internetstation gleich gegenüber der Lounge nutzte. Die Computerecke war ausgestattet mit einer klebebandumwickelten Steckerleiste, die einen klotzigen nordkoreanischen Monitor samt PC speiste, und das alles überschattet von einer eingestaubten Plastikzimmerlinde. Der Computer des schönen Mädchens machte ein Tsching-tsching-tsching-Geräusch wie ein Spielautomat. Das Geräusch verstummte, sobald er hochgefahren war. Rick rief: »Noch ein Ginger Ale?« Das Mädchen starrte ihn ausdruckslos an. »Nein, ich bin ausreichend hydriert.«
    Die Frau sah Rick fragend an. »Nein, ich bin ausreichend
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