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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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einer permanenten Gegenwart, wozu Menschen niemals fähig wären, auch wenn sie es noch so sehr versuchten. Der Grund, aus dem Luke über die Zeitund den freien Willen nachdenkt, ist seine Überzeugung, dass es den Menschen mit dem Geld noch am ehesten gelungen ist, Zeit und freien Willen zu einer kompakten physischen Form zu kristallisieren. Cash. Cash ist ein Zeitkristall. Geld erlaubt es dir, deinen Willen zu vervielfältigen und die Zeit zu beschleunigen. Geld ist es, was uns als Spezies definiert. Nichts und niemand sonst im Universum kennt etwas wie Geld .
    Luke – wirres Haar, etwas pummelig und leicht zerzaust, in Designerklamotten vom Flohmarkt, den die Kirche im letzten April veranstaltet hat – verfügt gegenwärtig über jede Menge Geld, denn er hat heute Morgen das Konto der Kirche geplündert. Nicht, dass er schon mit diesem Vorhaben im Kopf aufgestanden wäre, aber jetzt, wo er ein paar Drinks intus hat, versteht er, dass dieser Diebstahl lange fällig war und nur eines speziellen Vorfalls als Auslöser bedurft hatte. Dieser Vorfall ereignete sich folgendermaßen: Am gestrigen Spätnachmittag hatte Luke sich mit den Frauen des Komitees getroffen, um über den bevorstehenden Kuchenbasar zu sprechen. Luke leitet solche Treffen nur ungern und überlässt das normalerweise seiner altgedienten Ehrenamtlichen Mrs. McGinness, aber Mrs. Mc-Ginness ist noch in Arizona, um ihrer Meth-Nutte von Tochter über die jüngste Scheidung hinwegzuhelfen. Also saß Luke da, bereit, das Treffen zu eröffnen. Acht Frauen sollten kommen, doch nur sieben erschienen. Luke fragte: »Wo ist Cynthia?«, und die Frauen am Tisch hatten nur irgendwas gemurmelt, worauf er gesagt hatte: »Ist es nicht komisch, nun ist der Jüngste Tag endlich da, und Cynthia ist die Einzige, die entrückt wurde?«
    Das kam an wie ein Hund mit Flatulenz. Sieben säuerliche Mienen gaben Luke die Erlaubnis, von der er gar nicht gewusst hatte, dass er sie wollte oder brauchte: das Konto mit dem Geld für die Kirchenrenovierung leerzuräumen und abzutauchen. Es war ein klarer, luzider Moment wie diese Fugue-Erfahrungen, die er immer vor einem seiner kleineren Anfälle hat. Wäre die Bank noch geöffnet gewesen,wäre er direkt hingegangen. Und falls er noch Zweifel an seiner neuen Berufung zum Verbrechen gehabt hätte, wären sie von der pikierten E-Mail zerstreut worden, die er zwei Stunden später von Sharon Truscott erhalten hatte, mit dem Inhalt, dass die Damen es gar nicht schätzten, wenn man sich über ihre religiösen Überzeugungen lustig machte.
    Und jetzt hockt Luke in einer Cocktaillounge, in der es kalt ist wie in einem Kühlhaus und wo es nach Desinfektionsmitteln riecht, in einer Stadt, in der er noch nie zuvor gewesen ist, und hat zwanzig Riesen in der Jackentasche, ein Bündel Bargeld, das so schwer wiegt wie Steine in den Manteltaschen eines Selbstmörders, Gewichte, die ihn schneller und zuverlässiger auf den Grund eines Flusses ziehen sollen – aber vielleicht sind sie auch mit Helium gefüllte Ballons, die ihn immer höher und höher tragen werden.
    Oder ihn noch betrunkener machen.
    Luke bestellt sich einen weiteren Scotch beim Barkeeper, der aussieht wie einer dieser Typen, denen sie nach diversen Alkoholfahrten den Führerschein entzogen haben, und gerade dabei ist, eine nicht mehr ganz junge, leicht thekenschlampige, Sharoneske Frau anzubaggern. Luke hat gerade mitgehört, wie sie sich einander als Rick und Karen vorgestellt haben. Karen ist offensichtlich hier, um sich mit jemandem zu treffen, den sie übers Internet kennengelernt hat. Luke ist immer wieder überrascht, wie viele Leute sich heutzutage übers Internet kennenlernen. Plötzlich und unerwartet war es da, und jetzt ist es Ursache für die Hälfte aller Probleme, mit denen seine Schäflein zu ihm kommen: Spielschulden vom Online-Gambling, betrügerische Angebote, die mit schnellem Geld locken, Pornosucht, Eltern, die ausrasten, wenn sie sehen, was für Seiten ihre Kinder aufrufen, Kaufsucht. Er kann das, was die Leute im Internet tun, nicht mal als Sünde bezeichnen, weil das alles so öde ist, einfach Leute, die vor Bildschirmen rumsitzen, na und? Wen juckt’s? Die Seelsorge war weitaus interessanter, als die Menschen noch im wirklichenLeben miteinander interagierten. Er hatte schon seit Jahren keinen Fall von Ladendiebstahl oder Ehebruch mehr in seiner Gemeinde gehabt. Das, das war interessant – und menschlich –, aber das Sündigen im Internet? Niemals.
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