Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
Gottverdammtes Internet. Sein Sog zieht die Menschen nur weg von der Wirklichkeit.
    Luke fragt sich, was Shakespeare wohl über Geld zu sagen hatte. Zweifellos etwas Schlaues. Gottverdammter Shakespeare. Luke hat seine Predigten immer mit erlesenen Shakespearezitaten gewürzt, weil er glaubte, dadurch klüger zu wirken, als er tatsächlich war, und es gab auch seinen Schäfchen das Gefühl, gebildet zu sein, und dass die Jahre an College oder Uni nicht umsonst gewesen waren. Doch seit einiger Zeit hatten jüngere Gemeindemitglieder Luke zu verstehen gegeben, seine Zitate seien langweilig und schablonenhaft und erinnerten an jene Nietzsche- oder Kafkazitate, die irgendwelche Web-Bots automatisch an das Ende von E-Mails hängten, die wiederum auf praktisch nicht mehr nachzuverfolgenden Wegen Unsummen von Geld in die beständig expandierende osteuropäische Pornoindustrie leiteten. Ein Scotch mit Eis bestärkt Luke nun in der Überzeugung, dass die Intelligenz vergesellschaftet und breitgetreten worden ist. Luke hat das Gefühl, als sei er der Entwicklung gleichzeitig einen Schritt voraus und hinke ihr einen Schritt hinterher.
    Die Entwicklung. Welche verdammte Entwicklung?
    Luke hasst das einundzwanzigste Jahrhundert.
    Luke ist ein Dieb.
    Luke erinnert sich noch daran, einmal an das geglaubt zu haben, woran er glaubte: Dass er eines Tages davon frei sein würde, in der linearen Zeit leben zu müssen, und ihn der Gedanke an die Ewigkeit nicht mehr erschrecken würde. Dass die letzten Dinge offenbart werden würden. Zündschlösser würden streiken, Parkplätze dahinschmelzen wie Schokolade, unterirdische Wasserreservoirs verschwinden; der Planet nach und nach in sich zusammenkrachen. Es würde große Verwüstungen geben und Konstruktionen wieWolkenkratzer und multinationale Konzerne würden zusammenbrechen. Das Leben, von dem er träumte, würde sich mit seinem wahren Leben vermählen. Laute Musik würde erklingen. Bevor sein Leib sich zu verflüchtigen begann, würde sich sein Körper von innen nach außen stülpen, zu Boden fallen und wie ein Steak auf einem heißen Hibachi braten, und dann würde er erlöst, er würde gerichtet und mit den Gerechten zum himmlischen Gastmahl geladen werden.
    Doch seine Kirchengemeinde redet über das Leben nach dem Tod wie über Fort Lauderdale.
    Egal. Hier und jetzt kommt es nur darauf an, dass Luke vor Freiheitsgefühl praktisch vibriert.
    Und er hat sich entschieden, dass er zwar ein Versager, aber das Versagen immerhin authentisch ist, und weil es authentisch ist, ist es echt und unverfälscht und damit ein lauterer Daseinszustand, im Gegensatz zum nun hoffentlich toten Heuchel-heuchel-Luke – und es ist ein tolles Gefühl, sich authentisch zu fühlen! Scheiße, vielleicht bin ich jetzt ein Gesetzloser – ich bin jetzt ein Gesetzloser!
    Luke hat zwanzig Riesen in den Taschen und beobachtet nun, wie ein kleiner rothaariger Kerl in die Bar kommt, der Karen seine Hand auf den Oberschenkel legt. Sie sieht nicht allzu glücklich aus, ihn zu treffen. Pah. Die beiden werden einfach weitersuchen, bis sie jemanden gefunden haben, der in der Nahrungskette mit ihnen auf einer Stufe steht. So läuft das nun mal bei Charles Darwin.
    Lukes Gewissen meldet sich plötzlich. Dank der Macht der Gewohnheit spricht er zu einem Gott, an den er einmal geglaubt hat, diesmal allerdings mit einer kleinen Akzentverschiebung: O Herr, ich weiß, dass der Glaube dem menschlichen Herzen nicht naturgegeben ist, aber warum hast Du uns das Glauben so schwer gemacht? Jetzt ist es zu spät, ich habe den Glauben an dich verloren. Warum habe ich über meine Zweifel nie mit anderen Menschen gesprochen? Meine Kirchenältesten hätten mich auf den richtigen Weg zurückführen können. Aber vielleicht ist es letztendlichdoch besser, seine Zweifel für sich zu behalten. Sie laut auszusprechen, entwertet sie – macht sie zu bloßem Gerede, wie das Gerede von allen anderen. Wenn ich ins Unglück stürze, dann wenigstens zu meinen eigenen Bedingungen.
    Ironischerweise fühlt sich Luke, nachdem er sich sein Verbrechen eingestanden hat, geradezu spirituell geläutert. Er blickt zu der coolen Hitchcock-Blondine in dem lächerlichen »Business-Center« auf der anderen Seite des Raums hinüber. Er fragt sich, ob sie ihn bemerkt hat. Wie würde sie über sein Verbrechen urteilen? Luke denkt sich, sie würde besonders auf seine Schuhe achten, und diese Schuhe würden ihr etwas sagen – nämlich »Payless«, und damit wäre er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher