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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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geht, er ist schon attraktiv, wenn er bloß einen Puls hat. Seltsamerweise macht es Karen der Umstand, dass sie geschieden ist und eine Tochter hat, leichter, neue Männer kennenzulernen – zumindest im Internet. Mit Anfang dreißig hat unweigerlich jeder irgendeine Art von Verlust zu beklagen. Aufgrund der Kinder spricht Karen eine gemeinsame Sprache mit alleinerziehenden Vätern, die Kinderlose nie verstehen würden. Und solange man nicht in Bitterkeit verharrt, ist eine Scheidung eine weitere Gemeinsamkeit, die der eingefleischte Single nicht teilt.
    Karen weiß, dass sie jünger aussieht als vierzig. Vielleicht wie sechsunddreißig – oder vierunddreißig mit einem Alkoholproblem. Auf den Fotos – und es hatte nur zwei gegeben (hätten da die Alarmglocken klingeln sollen?) – wirkt Warren wie ein etwas trauriger Mensch, und aus irgendeinem Grund sieht er ein bisschen schäbig aus. Man konnte sich ihn schwer beim Einfüllen von Superbenzin in den 2009er Ford Ranger vorstellen, der auf dem dritten JPEG , das er geschickt hatte, zu sehen war, ein Bild, das ganz ohne ein menschliches Wesen auskam. Bitte, lieber Gott, mach, dass Warren nicht knauserig ist. Ich bin zu alt, um über Rabattcoupons zu streiten .
    Als sie von Bord trottete, betrachtete Karen vergnügt das übliche Status-Sammelsurium, das sich beim Verlassen eines Flugzeugs offenbart: Snackverpackungen aus Folie und Dan-Brown-Paperbacks in der Touristenklasse, liegen gebliebene Ausgaben des Economist und des Atlantic in der Businessklasse, und natürlich die auf ihrer Eisscholle ausgesetzten älteren und behinderten Passagiere, die erst als Allerletzte aussteigen durften.
    Als sie dann nur mit ihrem Handgepäck am Kofferkarussell vorbeirauschte, verspürte Karen einen nicht unwillkommenen Anflug von Überlegenheit. Wir beneiden doch die, die mit leichtem Gepäck reisen, oder nicht? An dem Karussell, das der Ausgangstür am nächsten war, stand eine Gruppe Geistlicher, und Karen musste an die sieben Todsünden denken; sie fragte sich, wieso es zehn Gebote gab, aber nur sieben Todsünden. Man sollte doch meinen, dass zweitausend Jahre genug Zeit waren, um so etwas anzugleichen. Sie kam an dem pubertären angehenden Pornographen vorbei, der mit seinem Vater und seiner Schwester reiste. Er zwinkerte Karen zu, und Karen lachte und ging durch die automatischen Türen hinaus. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne sickerte zwischen den Taxireihen hindurch. Was für ein herrlicher Tag! Jawoll, meine Herrn, an einem herrlichen Tag wie heute kann einfach nichts schiefgehen .
    Und Schnitt auf den brennenden Zeppelin.
    Karens Gute-Laune-Seifenblase platzte rasch, als sie in ein Taxi stieg und dem Fahrer sagte, sie wolle zum nahegelegenen Camelot Hotel. Der Fahrer war stinksauer, weil sie ihm keine große, teure Tour einbrachte. Ein befreundeter Fahrer fuhr in einem anderen Taxi vorbei und rollte das Fenster herunter. Karen wusste, dass nun in einer Sprache, in der sich alles wie boobaloo anhörte, ihr guter Name in den Schmutz gezogen wurde. Sechs Minuten später setzte das Taxi sie vor der Camelot Airport Cocktaillounge ab, einem heruntergekommenen Betonsatelliten des Haupthotels, der an das drittbeste Restaurant in der viertgrößten Stadt von Bulgarien erinnerte. Kaum hatte Karen die Wagentür zugeschlagen, schoss das Taxi davon. Sie beschloss, den Vorfall lieber amüsant als ärgerlich zu finden. Manchmal lässt einem das Leben keine andere Wahl, und außerdem wartete ihr Geschenk unter dem Weihnachtsbaum nur darauf, ausgepackt zu werden.

RICK
    Rick hört nicht mehr auf die Stimme in seinem Kopf. Siebenunddreißig Jahre, in denen er auf seine innere Stimme gehört hat, hatten ihm nichts weiter eingebracht als einen Offenbarungseid, Einsamkeit und Kupferfinnen, die seinem Gesicht diesen dauerhaften Whiskyteint gaben – genauer gesagt, hatte der Whisky ihm diesen Teint verliehen; seine innere Stimme hatte ihm nur geraten, den Whisky zu trinken: Komm, Rick, den hast du dir verdient, Mann! Du hast heute Nachmittag fünfzehn Meter Thuja-Hecke gepflanzt! Aber Rick hört jetzt nicht mehr auf diese Stimme. Jetzt hört er anderen Menschen zu, denn er macht die Theke, und die Leute erzählen ihm alles: Abtreibungsurlaub auf den Bermudas, Tagträume von operativen Geschlechtsumwandlungen, zeternde Mütter und Ängste vor nordkoreanischen Raketen. Die Leute erzählen Rick die Wahrheit über sich, weil er in der Loungebar eines Flughafenhotels arbeitet und daher nur
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