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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind
Autoren: Carola Clasen
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tausend Worte, hatte Sonja ihn aufgefordert. Er sei nicht besonders fotogen, war Harrys Antwort gewesen. Nicht bedenklich klang das in Sonjas Ohren, sondern bescheiden.
    Sie hatte sich längst im Kopf ein Bild von ihm gemacht. Er schien nicht humorlos oder verklemmt, er plauderte drauflos, als seien sie alte Bekannte. Sie sagte ihm nicht, dass sie Kommissarin war. Sie erzählte – ohne Wolfgarten namentlich zu erwähnen – von ihrem Leben in einem Forsthaus am Ende der Stromleitung und von der Eifel an sich. Und er davon, wie sehr er diese Region mochte, und wo er überall schon gewesen sei, um Objekte zu finden, anzusehen, zu bewerten und zu vermitteln. Er war Immobilienmakler. Seine Stimme klang angenehm. Sein Name klang angenehm. Hielt beides, was es versprach?
    Die Wirtin im Sülzburger Hof, eine Rothaarige, die vor lauter Haarspray den Kopf kaum bewegen konnte, sah Sonja fragend an.
    »Ein Kölsch«, bestellte Sonja.
    »Ein Kölsch«, wiederholte die Wirtin und hielt das Glas schräg unter den Zapfhahn.
    Kölsch, das war Zuhause. Und Kölsch ging schneller als Pils. Kaum hatte Sonja den Gedanken zu Ende gedacht, stand das Glas vor ihr auf dem Deckel.
    »Zum Wohl!«, wünschte man ihr.
    Ein kräftiger Schluck und das Glas war halbleer.
    Sie hatten kein Erkennungszeichen verabredet. Keine Rose, keine Zeitung. Nicht nötig, hatte Harry Konelly behauptet, er wisse sofort, welches Gesicht zu dieser betörenden Stimme passe. Im Übrigen glaube er, sie am suchenden Blick erkennen zu können.
    Sonja sah auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten. Höchste Zeit für die Gesichtskontrolle. In der sparsamen Beleuchtung des Waschraums sah sie besser aus, als sie befürchtet hatte.
    Zurück auf ihrem Hocker blickte sie sich um. Über der Eingangstür liefen stumme Sportnachrichten im DSF auf einem Flachbildschirm. Der Spieler geriet wieder in ihr Blickfeld. Ein unruhiger Typ, der von einem Bein aufs andere wechselte und zwischen Theke und Spielautomat hin und her pendelte. Mal wollte er Kleingeld, mal ein Bier. Er schien mit sich selbst zu sprechen, denn seine Lippen bewegten sich ohne Unterlass.
    Außer ihm und der Wirtin hielten sich vier weitere Männer, fortgeschritten in Alter und Bauchumfang, in dem halbdunklen, verräucherten Gastraum auf. Sie standen nebeneinander an der Theke, hielten sich an ihren Gläsern fest, rauchten und redeten. Übers Wetter, das im März eingestürzte Stadtarchiv, den U-Bahnbau, die Suche nach einem neuen Bürgermeister und über den FC. Vor allem über den FC, der offensichtlich am Vortag überraschend Werder Bremen mit 1:0 geschlagen hatte. Wohl deswegen, weil Werder nur mit der B-Mannschaft angereist war, weil die Guten sich für den UEFA-Cup schonen wollten. In der 61. Minute erzielte ein gewisser Novakovic den entscheidenden Treffer. Es folgte eine Einzelkritik der Kölner. Es fiel kein einziger deutscher Name, wunderte sich Sonja.
    Keiner dieser Kenner und Könner war Harry Konelly. Keiner schenkte Sonja einen suchenden Blick. Die Wirtin hieß Gerda und duzte alle. Sie fragte nach dem Hund, nach der kranken Schwiegermutter und der defekten Spülmaschine. Alle waren einer Meinung, früher sei alles besser gewesen. Im Hintergrund sang eine weibliche Stimme schon zum zweiten Mal:
    Gib dem Wind eine Chance sich zu drehen
,
    hab die Sonne so lange nicht gesehen

    In der Glasvitrine hingen Fotos aus besseren Zeiten. Die lachende Gerda, damals jung, schunkelnd und trinkend mit Karnevalisten.
    Es war 18 Uhr. Sonja hypnotisierte die Eingangstür.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« Eine Stimme aus dem Off.
    Sonja fuhr zusammen. Sie drehte sich um und erstarrte. Manches wusste man nie, manches sofort. Dieser Mann in ihrem Forsthaus, auf ihrem Sofa, in ihren Armen, in ihrem Bett – nie. Er konnte tun und sagen, was er wollte, er hatte bereits verloren. Er würde es nicht werden, der Mann an ihrer Seite. Niemals.
    Der Mann, der von seinem Todesurteil nichts wusste und sich, ohne ihr Einverständnis abzuwarten, neben sie auf einen Barhocker schob, hatte ein Glas Rotwein in der Hand. Sein Körperbau war auf die einfache Formel zu bringen: Höhe und Breite entsprachen der Tiefe. Der Bauch, den er angesetzt hatte und der offensichtlich seiner Wanderfreude trotzte, sprach für seine Kochkünste. Dass er Kölner war, war schon in den ersten sechs Worten nicht zu überhören gewesen. Seiner Reiselust hatte er offenbar die gesunde Gesichtsfarbe zu verdanken.
    Allein seine Stimme erinnerte sie noch vage an
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