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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind
Autoren: Carola Clasen
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ins Haus hinein und mache es mir auf dem großen Sessel bequem. Ich nutze die Zeit. Wer weiß, wann sie wiederkommt. Davis legt sich zu mir auf den Boden, neben den Ofen. Nicht lange, und er schnarcht.
    Zum hundertsten Mal denke ich darüber nach, wie unser Unglück begann. Es fing auf jeden Fall alles ganz harmlos an.
    Als das große Auto zum ersten Mal auf unser Haus zugefahren kommt, denke ich nur: Besuch. Hoffentlich fährt er bald wieder weg. Ein fremder Mann steigt aus, lässt die Autotür offen und geht ins Haus. Ich springe ins Auto, sicherheitshalber, um alles zu kontrollieren. So ein Auto habe ich noch nie gesehen. Interessant. Groß. Voller Kisten und Decken und Pullover und Krimskrams und Essensresten. Es gibt sogar ein Bett darin. Allerdings riecht alles komisch. Nicht nach einem anderen Kater. Auch nicht nach Hund. Ich bin mit meiner Inspektion nicht ganz fertig, als der Mann das Haus wieder verlässt. Ich, nichts wie raus. Draußen schüttele ich mich, um den Geruch loszuwerden und mache um den Mann einen großen Bogen.
    Davis nicht. Er hängt sich gut gelaunt an die Fersen des Fremden, obwohl der versucht, ihn abzuschütteln. Sie sieht zu, ist ganz zappelig, lacht laut, fährt sich ständig durch die Haare und zieht an ihren Kleidern. Sie winkt dem Fremden nach, bis das Auto vom Feldweg verschwunden ist. Danach beginnt sie zu singen. Sie fängt mich ein, drückt mich an sich und sagt: »Ach, West, ist er nicht wunderbar?« Ich springe von ihrem Arm und denke nur, hoffentlich kommt dieser Fremde nicht wieder. Er verwandelt sie in einen anderen Menschen.
    Er nennt sie »Engel«. Ich dachte immer, sie heißt Sonja. Sie nennt ihn Harry. Mal sehen, wann er einen neuen Namen bekommt. Namen ständig zu wechseln ist wohl typisch Mensch. Harry klingt noch viel schrecklicher als die Namen, die Davis und ich schon alle hatten. Harry klingt noch viel schrecklicher als Tiger, Voltaire, Max oder Balzac zusammen. Ich wollte jedenfalls nicht so heißen. Aber wenn ich es mir recht überlege, der Name passt zu ihm, er ist ein Scheusal. Darin sind Davis und ich uns auch bald einig. Aber ich habe es zuerst bemerkt. Und das zählt.
    Schnell habe ich raus, wann er kommt. Nämlich, wenn sie ganz aus dem Häuschen ist, uns zu füttern vergisst, treppauf, treppab rennt wie ein aufgescheuchtes Huhn, nach einer ganzen Blumenwiese riecht, über mich fällt, mich anschnauzt, weil ich angeblich alles schmutzig mache. Davis ergeht es nicht besser, nur er kapiert die Zusammenhänge nicht. Ein Hund eben.
    Kaum ist dieser Harry da, verjagt sie uns, weil sie ihre Ruhe haben will. Kaum ist er weg, sind wir wieder gut genug, da will sie mit uns kuscheln und wissen, wie wir Harry finden. »Nun sagt doch mal selbst, ist er nicht süß?«
    Wie sollen wir Harry schon finden? Er stört. Außerdem mag er keine Tiere, das hätte ich Davis gleich sagen können. Aber da wir nicht die gleiche Sprache sprechen, hat er es am eigenen Leib erfahren müssen und trotzdem keine Lehre daraus gezogen.
    Harry tritt nach Davis! Immer wieder. Aber immer nur, wenn sie gerade nicht da ist. Absichtlich. Mit einem seiner spitzen Schuhe. Davis jault und läuft weg, oder knurrt so gefährlich, wie er nur kann, und fletscht die Zähne. Aber wie Hunde so sind, beim nächsten Mal hat er es wieder vergessen und will wieder mit Harry spielen. Jedes Mal bekommt er wieder eine gewischt. Harry zieht ihm auch die Ohren lang und verdreht ihm den Schwanz. Aber Davis rafft es einfach nicht.
    Einmal bleibt dieser Harry so lange im Forsthaus, bis es dunkel ist. Keine Ahnung, was sie und er die ganze Zeit machen. Davis und ich sind ausgesperrt. Wir hören ihr Lachen und sehen ihre Schatten. Gläser klirren. Er muss gekocht haben, herrliche Düfte ziehen uns um die Schnauzen.
    Wenn sie kocht, das kann man getrost vergessen. Das riecht nach nichts. Das schmeckt nach nichts.
    Später singt er sogar und macht Musik mit den Händen. Schrecklich. Katzenjammer ist nichts dagegen.
    Endlich wird es still im Haus. Aber Harry fährt nicht davon, sondern klettert durch die Hintertür in sein Auto und kommt nicht wieder zum Vorschein. Das Auto bleibt die ganze Nacht da stehen. Davis und ich machen kein Auge zu. Drinnen macht Harry weiter Musik – dieses Mal ohne zu singen. Als er schnarcht, dass das Auto wackelt, düsen Davis und ich ins Haus und lecken in der Küche alle Teller und Töpfe aus. Also, kochen kann er ja.
    Am anderen Morgen verdirbt uns Harry das Frühstück. Wir bekommen
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