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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition)
Autoren: Michael Peinkofer
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fortsetzen und dein Leben lang das tun könntest, wozu du geboren bist – nämlich auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Das alles ist nun verloren.«
    »Vielleicht«, räumte Cyn ein, die Tränen tapfer niederkämpfend, »aber das ist nicht deine Schuld.«
    »Allerdings nicht«, stimmte Hank energisch zu. »Ich denke, wir wissen alle, woran es liegt, dass niemand mehr in ein Puppentheater gehen will.«
    »Das Caligorium«, sagte Nancy, die bislang geschwiegen hatte. Ohnehin kam es nicht oft vor, dass sie etwas sagte – aber wenn, dann pflegte sie stets recht zu haben, so wie in diesem Fall.
    »Das stimmt«, pflichtete Albert ihr bei. »Das verdammte Caligorium ist Nacht für Nacht bis auf den letzten Platz ausverkauft, während sich bei uns nur noch Mäuse und Ratten tummeln«, fügte er mit Blick auf den kleinen Nager hinzu, der an einem der Sandsäcke knabberte, mit denen die Kulissen aufgezogen und herabgelassen wurden. »Und dabei vermag noch nicht einmal jemand zu sagen, was genau es in diesem Theater eigentlich zu sehen gibt. Dieser Umberto Caligore scheint ein ziemlich raffinierter Kerl zu sein.«
    »Was du nicht sagst, Albert Hucks«, versetzte Lucy säuerlich. »Du kannst ja morgen zu ihm gehen und dich bei ihm vorstellen, wenn er dich so sehr beeindruckt.«
    »Aber nein«, verteidigte sich Albert. »Ich meinte nur …«
    »Das ist eine gute Idee!«, fiel Horace ihm ins Wort. »Ihr alle solltet euch bei Caligore vorstellen, vielleicht gibt es dort Arbeit für gute Puppenspieler!«
    »Aber Vater!« Cyn konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Das kann doch unmöglich dein Ernst sein! Wir sollen uns bei unserem ärgsten Konkurrenten vorstellen? Der uns in den Ruin getrieben hat?«
    »Warum nicht? Ab morgen, mein Kind, gilt eine neue Zeitrechnung. Wir alle werden uns umgewöhnen müssen. Wer sich also im Caligorium bewerben will, dem stelle ich gerne ein Empfehlungsschreiben aus.«
    »Nein, danke«, sagte Lucy.
    »Kein Bedarf«, erklärte auch Albert kategorisch.
    »Das ist nett von euch.« Horace nickte dankbar. »Aber wir wollen in der Stunde der Niederlage nicht bitter werden, sondern unserem Konkurrenten den Sieg gönnen.«
    »Ist das dein Ernst, alter Mann?«, ließ sich in diesem Moment der Puck vernehmen. »Das Caligorium ist doch kein Theater! Dort wird doch nur Mummenschanz und fauler Zauber betrieben und weiter nichts!«
    Niemandem in der Runde war zum Lachen zumute – aber als sie sahen, wie sich der kleine Kerl auf Horace Pence’ Schoß plötzlich fürchterlich aufregte und drohend das Gebiss mit den beiden großen Schneidezähnen fletschte, da konnten sie nicht anders als zumindest zu schmunzeln. Denn in der Wut des Pucks blitzte zumindest ein klein wenig von jener jugendlichen, fast kindlichen Kraft durch, die den alten Theaterbesitzer so liebenswert machte.
    »Die behaupten, dass sie Opern spielen und Stücke von Shakespeare aufführen«, fuhr der Kobold in seinem Lamento fort, »dabei ist alles nur billiger Hokuspokus. Keine Kostüme, keine Kulissen – was für eine Art Theater, bitte sehr, soll das denn sein?«
    »Das kann ich dir auch nicht sagen, mein kleiner Freund«, meinte Horace, jetzt wieder als er selbst und mit unverstellter Stimme sprechend. »Ich weiß nur, dass unsere Konkurrenz sehr viel erfolgreicher ist als wir. Wenn es das ist, was die Menschen im Theater sehen wollen, so können wir nichts dagegen tun. Unsere Zeit, so fürchte ich, ist abgelaufen, daran lässt sich nun einmal nichts ändern.«
    Die alte Traurigkeit war auf seine Züge zurückgekehrt, sodass Cyn nicht anders konnte, als ihn zu umarmen und ihn sanft auf die bärtige Wange zu küssen.
    »Es ist gut, Kind«, sagte er und schloss seinen freien Arm um sie, drückte sie sanft und liebevoll an sich. »Alles wird gut werden, du wirst sehen.«
    »Du bist ein schlechter Lügner, Vater«, flüsterte sie, nachdem sie sich wieder von ihm gelöst hatte. Tränen rannen ihr über die Wangen.
    »Vielleicht«, gab er zu und blickte sie unter seinen gepuderten Augenbrauen hinweg an. »Aber ich bin ein guter Schauspieler.« Damit erhob er sich von seinem behelfsmäßigen Sitz und wandte sich zum Gehen.
    »Wohin willst du?«, fragte Cyn. »Was hast du vor?«
    »Nur ein wenig spazieren gehen«, entgegnete er. »Der Puck geht gerne nach der Vorstellung spazieren, wie du weißt.«
    »Aber …« Cyn schüttelte den Kopf. Es gab so vieles, das sie ihrem Vater hätte sagen, worüber sie mit ihm hätte sprechen wollen. Aber vor
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