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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand
Autoren: Ina Bruhn
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wir uns zum letzten Mal gesehen haben.“
    „Das ist ja auch mindestens sechs Jahre her.“
    „Und, wie findest du’s, wieder mit deinem Alten zusammenzuziehen?“
    „Wird sicher nett.“
    Wir gehen in die Küche, um Kaffee zu kochen. Es vergeht keine Minute und mein Vater steht in der Küche. Und er trägt den zerschlissenen, blauen Overall, den er heiß und innig liebt. Vielleicht wäre er als Zimmermann glücklicher geworden.
    „Jetzt ist es aus mit dem Frieden!“
    Es ist erschreckend, wie leicht ich meine Eltern inzwischen durchschaue. Und gerade jetzt soll das frech-forsche Auftreten meines Vaters verbergen, wie nervös er eigentlich ist. Immerhin haben wir beide nicht mehr richtig zusammengewohnt, seit ich dreizehn Jahre alt war. Und in diesen fünf Jahren ist viel passiert.
    „Wir sind gleich fertig und dann gibt es Pizza und Bier. Na, was sagst du?“
    „Ich bin noch verabredet.“
    Beziehungsweise: Ich werde mich schnell verabreden. Mehrere Stunden Gelaber über die wilden Zeiten in der Coverband will ich mir nicht antun.
    Das Wasser schwappt auf den Tisch, als ich es in die Kaffeemaschine gießen will. Es ist gar nicht so leicht, alles mit der linken Hand zu erledigen.
    „Was ist denn mit deiner Hand passiert?“
    „Nichts.“
    „Lass mich mal sehen.“ Mein Vater wechselt in seine Arztstimme, die er ansonsten nur selten privat gebraucht. Er packt meinen Arm. „Bist du gestürzt? Das Handgelenk ist ja ganz geschwollen. Kannst du es belasten?“
    „Klar.“
    (Auch wenn ich dabei vor Schmerz ohnmächtig werde.)
    „Tut das weh, wenn ich es so beuge?“
    „Nein.“
    (Auaauaaua!)
    „Wie ist das denn passiert?“
    „Wir waren heute Nacht rodeln. Und dabei bin ich draufgefallen. Es ist aber wirklich nicht schlimm.“
    „Gerodelt? Wo?“
    Er hält mein Handgelenk immer noch fest. Ich sehe ihm indie Augen und würde am liebsten sagen, dass es ihn einen Scheiß angeht.
    „Søndermarken”, antworte ich stattdessen und ziehe meine Hand zurück.
    „Wer ist ‚wir‘?“
    Inzwischen lebe ich schon lange ohne die Einmischung meiner Eltern. Selbst meine Mutter hat irgendwann nicht mehr gefragt, wo ich hingehe und wann ich nach Hause komme. Also soll mein Vater nicht plötzlich den Kommissar spielen, nur weil er wieder zu Hause eingezogen ist.
    „Nick, Rasmus und ich“, sage ich und knalle den Deckel der Kaffeemaschine zu.
    „Wer ist Rasmus?“
    „Ein Typ aus meiner Klasse. Ich hab dir doch schon hundert Mal von ihm erzählt.“
    „Bitte vielmals um Entschuldigung! Jedenfalls muss dieses Handgelenk geröntgt werden.“
    „Nein, muss es nicht.“
    „Es könnte gebrochen sein. Komm, ich fahre dich.“
    Er steht in der Tür. Die eine Hand in Richtung Treppe ausgestreckt, die andere in meine Richtung, kommandiert er mich winkend herbei.
    „Ich habe doch gesagt, dass ich noch was vorhabe.“
    „Du kannst aber nicht einfach so mit einem gebrochenen Handgelenk rumlaufen!“
    „Darüber hast du nicht zu bestimmen!“
    In der Stille nach meinem Wutausbruch kann man deutlich das pfeifende Japsen von Tom und Palle hören, die mit einem Sessel zwischen sich auf der Treppe stehen geblieben sind.
    „Ich habe eine Verabredung“, wiederhole ich schwach. „Ich kümmere mich später darum.“
    „Hat er sich geprügelt?“, fragt Tom fröhlich. Warum müssen die Freunde meiner Eltern immer in der dritten Person über mich reden, auch wenn ich direkt neben ihnen stehe?
    „ER war letzte Nacht Schlittenfahren“, sage ich und marschiere an Palle und Tom vorbei.
    Als ich aus der Tür gehe, höre ich meinen Vater gerade noch rufen: „Wann bist du wieder zu Hause?“
    Auf den Gehwegen und Straßen ist der Schnee bereits halb geschmolzen. Nur an den Hausmauern türmen sich noch ein paar schmuddelige Haufen. Die Temperatur beträgt laue drei Grad, es ist windig und grau. Im Svanemøllequartier gehe ich Livs Straße entlang und klingle an der Tür des Riesenkastens, den sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder bewohnt. Es ist fast drei Monate her, dass ich zum letzten Mal hier war. Livs Eltern hatten eine Silvesterparty veranstaltet, bei der sie die Rolle der wohlerzogenen Tochter spielen sollte. Nick und ich hatten sie dann überredet, von dort abzuhauen, wovon ihre Eltern nicht besonders begeistert waren. Wir hatten uns das Auto eines Gastes „ausgeborgt“ und damit einen Ausflug zum Strand gemacht. Als wir zurückkamen, hatte das Auto nicht den kleinsten Kratzer – höchstens ein bisschen Sand
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