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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand
Autoren: Ina Bruhn
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hierhin?“
    Noch bevor die Worte meinen Mund verlassen haben, höre ich, wie dämlich sie sind. Denn wenn Rasmus mich absichtlich in eine Schwulenbar schleppt, dann doch wohl, weil …
    Darauf bin ich vorher tatsächlich nie gekommen. Rasmus ist ein Original. Ein hochbegabter Hochgeschwindigkeitssprecher mit vielen Mädchenfreundinnen und ausgeprägtem Modebewusstsein. Trotzdem habe ich nie überlegt, ob an den dummen Kommentaren, die man ihm in der Schule auf den Gängen nachruft, etwas dran sein könnte.
    „Schwanz! “
    Im Vorbeigehen in die Hand gehustet oder aus dem Mundwinkel geflüstert, während Rasmus so tut, als hörte er es nicht.
    „Schwuchtel!“
    „ Mädchen!“
    Und viele andere Worte, einige schlimmer, andere eher komisch. Es ist vor allem eine Gruppe aus dem Abiturjahrgang, die ihn mobbt. Wenn man das überhaupt noch als Mobbing bezeichnen kann. Manchmal gleicht es einer richtigen Hetze.
    Zum Glück wechselt Rasmus das Thema. „Du solltest dich auch in das Partykomitee wählen lassen.“
    „Warum denn das? Ist das denn nicht die reinste Schufterei?“
    „Es macht aber auch Spaß.“
    „Das haben die Pfadfinder auch immer behauptet, aber ich bin zum Glück nie drauf reingefallen.“
    „Außerdem ist das Partykomitee auch ein guter Ort, um Mädels kennenzulernen.“
    „Danke, ich komme schon zurecht.“
    „Wirklich?“
    Elender Mist. Wir reden selten über Mädchen, aber er weiß genau, dass ich schon lange nichts mehr laufen hatte.
    „Sind das dieselben Leute wie im Schülerbeirat?“
    „Nee. Im Partykomitee ist viel mehr los.“
    „Ich weiß nicht …“
    „Liv ist nicht das einzige Mädchen auf der Welt.“
    Mit diesen Worten überschreitet Rasmus eine Grenze. Meine Gefühle für Liv sind off limits. Darüber spreche ich nicht mal mit Nick.
    „Was meinst du damit?“, frage ich provoziert.
    „Als wir in die Oberstufe kamen, warst du doch total in sie verknallt. Man musste nur mal drei Sekunden mit ihr reden und schon hast du in der Nähe gelauert.“
    „So schlimm war es wirklich nicht.“
    „Du hast einem dermaßen böse Blicke zugeworfen, wenn man mit ihr geredet hat.“
    „Als ob du nicht an ihr interessiert gewesen wärst“, sage ich.
    „Nee, das war ich nie.“
    Soll das heißen, er ist überhaupt nicht an Mädchen interessiert? In seinem Blick liegt ein Flehen, ihn genau das zu fragen, aber ich nicke nur und trinke mein Bier.
    Soll ich jetzt etwa mit ihm über Männer reden?
    Und müssen wir ab sofort jedes zweite Mal, wenn wir zusammen weggehen, in eine Schwulenbar?
    Plötzlich könnte sich alles verändern, und ich weiß nicht, ob ich das will.
    Zum Glück kann man unangenehmes Schweigen mit Handys überbrücken, die man aus der Tasche holt, um auf das Display zu glotzen. Und so greift jeder nach seinem Telefon und Rasmus beginnt, eine SMS zu tippen.
    Nick hat mir vor fünf Minuten eine SMS geschickt:
    In einer Stunde oben auf dem Valby Bakke. Be there!
    „Nick will, dass wir uns in einer Stunde auf dem Valby Bakke treffen.“
    „Warum das denn? Auf einem Hügel?“
    „Keine Ahnung. Gibt es da irgendwelche Bars?“
    „Vielleicht will er mit uns in den Zoo.“
    „Um drei Uhr nachts?“
    Rasmus zuckt mit den Schultern. „Wir können ja noch ein Bier trinken und dann losfahren.“
    „Es ist arschweit bis Valby!“
    Rasmus zuckt noch einmal mit den Schultern und geht an die Bar, um uns Bier zu holen. Ich bleibe zwischen Stapeln von Infomaterial über das homosexuelle Kopenhagen sitzen und fühle mich durch und durch fehl am Platz. Ich bin in einem fremden Land, ohne Reiseführer oder Wörterbuch. Nur das Gefühl, nicht das Objekt der Begierde zu sein, ist mir allzu schmerzlich bekannt.
    Nach einer langen, eiskalten und schneeblinden Radtour sind wir auf dem Valby Bakke angekommen. Ich bin fast völlig durchnässt und der Heimweg dauert mit dem Fahrrad von hier aus mindestens fünfundvierzig Minuten. Nick tut also gut daran, uns jetzt eine geniale Idee zu präsentieren. Er steht mit zwei grünen Gegenständen in der Hand vor dem Schloss Frederiksberg. Als wir näher kommen, erkennen wir, dass es die Deckel zweier Mülltonnen sind.
    „Was willst du denn damit?“, frage ich.
    „Ich will mit euch da rein“, sagt Nick und macht eine Kopfbewegung in Richtung Søndermarken, dem Park hinter dem Schloss.
    Die Lichter im Park sind gedämpft, aber der Schnee erhellt die Winternacht. Unser Atem dampft in Wolken vor uns. Nick biegt rechts auf einen Pfad ab. Nach hundert
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