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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand
Autoren: Ina Bruhn
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20. Februar
    Es schneit. Kleine, eiskalte Flocken wirbeln vom grauen Himmel herab. Sie schweben bis in den Umzugswagen, wo zwei Männer mit bläulich verfrorenen Gesichtern gerade Kartons und Möbel einräumen. Da meine Eltern vorbildlich alles besprechen, haben sie garantiert bis auf die letzte Untertasse vereinbart, welche Sachen meine Mutter aus dem Haus mitnimmt.
    Erst war mein Vater drei Jahre lang für Ärzte ohne Grenzen in Afrika und nur hin und wieder mal für ein paar Monate zu Hause. Als er endlich für immer zurückkommen wollte, hat er sich von meiner Mutter scheiden lassen, weil er in Afrika eine andere Frau, eine schwedische Ärztin, kennengelernt hatte. Meine Eltern waren jedoch quitt, weil meine Mutter zur gleichen Zeit ebenfalls eine Affäre mit einem Kollegen gehabt hat. Nach ein paar Wochen hatten sie erkannt, dass von ihrer Ehe nicht mehr viel übrig war, für das es sich zu kämpfen lohnte. Mein Vater zog von unserem Reihenhaus in der Weyesgade erst zu Freunden, dann in eine eigene Wohnung um. Immerhin blieb er in Dänemark, und er tat es wohl vor allem meinetwegen. Wir haben hart daran gearbeitet, unser wackeliges Vater-Sohn-Verhältnis wieder etwas ins Gleichgewicht zu bringen. Wir gehen zusammen ins Kino oder fahren übers Wochenende nach Schweden und tun so, als gäbe es nichts Aufregenderes als Fliegenfischen, was natürlich kein bisschen stimmt. Einige Male konnte man unssogar im Parken-Stadion sehen, wenn der FC København spielte, und das nur, um einen Anlass für ein Treffen zu haben – denn eigentlich interessiert sich keiner von uns für Fußball.
    Jetzt ist also meine Mutter mit dem Umziehen an der Reihe. Irgendwie konnte sie sich doch nicht von dem Typen fernhalten, mit dem sie vor der Scheidung die Affäre hatte. Johannes Boye Lindhardt ist Arzt, Bergsteiger und Kajakfahrer. Kurzum wie geschaffen dafür, bei anderen Männern Minderwertigkeitskomplexe auszulösen. Noch dazu hat er einen – durchtrainierten – Arsch voller Geld. Deshalb zieht meine Mutter jetzt mit dem Superarzt zusammen und mein Vater zurück in die Weyesgade. Alles ist soweit geregelt, und ich brauchte mich nicht einmal zu entscheiden, welche Wohnverhältnisse ich vorziehe, denn ich wurde gar nicht erst gefragt. Deshalb gehe ich jetzt auch nicht in den Vorgarten hinunter, um zu helfen. Ich sehe sowieso nicht ein, warum ich helfen sollte, wenn nicht mal Johannes Boye Lindhardt hier ist, um mit anzupacken. Immerhin hat er sie darum gebeten, zu ihm zu ziehen. Er hat ein großes Haus im feinen Rungsted gekauft, und meine Mutter hat mir unzählige Male versichert, dass es dort ein großes Zimmer ganz für mich allein gibt. Und ich habe ihr mindestens genauso oft eingeimpft, dass ich inzwischen achtzehn bin und sie mich zu nichts zwingen kann. Ich bin zu alt, um ein Teilzeitkind zu sein. Außerdem wird mir bei dem Gedanken übel, morgens mit Johannes am Tisch zu sitzen, der seinen Tag garantiert damit beginnt, zwanzig Kilometer zu joggen, ehe er in den Öresund springt, um mit der Harpune sein Frühstück zu erlegen.
    Die Umzugshelfer schließen die Klappen des Lkw und verschwinden im Schneegestöber. Meine Mutter wirft ein paar Taschen in das hellgelbe Damenauto, das sie sich vor einiger Zeit plötzlich „gekauft“ hat. Kein Zweifel, dass Johannes es bezahlt hat.
    Ich gehe in die Küche hinunter, um es hinter mich zu bringen.
    „Tja, dann fahre ich jetzt also“, sagt meine Mutter.
    „Bis demnächst.“
    „Wie wäre es, wenn du uns gleich morgen besuchst? Du musst dir doch das Haus ansehen.“
    „Ich bin ein bisschen im Stress. Viele Hausaufgaben.“
    „Dann nächstes Wochenende?“
    „Vielleicht.“ Ich umarme sie hastig. „Guten Umzug.“
    Inzwischen hat sie feuchte Augen. Ich würde sie zu gern fragen, ob sie ihre Entscheidung bereut. Falls ja, würde das ziemlich viel Ärger mit sich bringen, nicht zuletzt für meinen Vater, der morgen wieder hier einziehen soll. Aber mir würde es ausgezeichnet gefallen. Meine Mutter passt einfach nicht in einen Landkreis, zu dem man normalerweise nur Zugang erhält, wenn man eine siebenstellige Altersvorsorge und einen Mitgliedsausweis der Konservativen Partei vorweisen kann.
    „Es ist komisch“, sagt sie mit einem kleinen Seufzer. „Ich hatte immer gedacht, du würdest von zu Hause ausziehen und ich würde hier bleiben.“
    „Das dachte ich eigentlich auch“, antworte ich und gehe nach oben.
    „Mateus! Wir haben doch darüber
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