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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand
Autoren: Ina Bruhn
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Champagner?“
    „Fast! Cava. Aus Spanien.“ Rasmus zupft die Folie ab. „Der schmeckt einfach göttlich.“
    „Hast du ihn etwa schon probiert?“
    „Ja klar. Letztes Wochenende durfte ich vier Flaschen davon mitnehmen.“
    Rasmus hat einen Nebenjob als Kellner im Messecenter. Der Lohn ist ziemlich gut und wird noch viel besser, wenn man den ganzen Alkohol mitzählt, den er dort abstaubt.
    Ich muss zugeben, dass er recht hat. Das Zeug schmeckt wahnsinnig gut. Sogar Nick stößt einen anerkennenden Rülpser aus.
    Rasmus setzt sich in einen Sessel. Er lässt das eine Bein über die Armlehne baumeln, schenkt sich nach und fragt: „Sehen wir denn unsere Liv heute Abend mal wieder?“
    Ich schiele zu Nick hinüber. In den letzten Monaten hat sie keiner von uns besonders oft zu Gesicht bekommen. Nachdem sie im letzten Herbst etwas Schlimmes erlebt hat, geht sie nicht mehr mit uns feiern. Nicht mal zu den Partys am Gymnasium kommt sie mehr.
    „Ich habe nichts von ihr gehört“, antworte ich.
    „Ist sie etwa immer noch fertig wegen dieses Perversen?“
    „Wärst du das nicht auch?“
    „Doch, klar. Aber das würde mich nicht daran hindern, abends wegzugehen.“
    „Daran kann dich wohl nichts und niemand hindern“, sagt Nick, „da müsste man dir schon beide Beine amputieren.“
    „Und selbst dann gibt es immer noch Rollstühle … Prost!“ Rasmus trinkt und beugt sich im Sessel vor. „Aber sie ist doch mit dem Schrecken davongekommen, oder?“
    „Das sagt sie jedenfalls.“
    Vor vier Monaten war Livs Freundin Majse in die Fänge eines Typen geraten, der Mädchen betäubt und ausgenutzt hat. Ihm machte es Spaß, seine Opfer leicht bekleidet auf einem roten Sofa zu fotografieren. Die Bilder veröffentlichte er anschließend unter dem Pseudonym „Partyboy“ auf Facebook . Als Liv das herausfand, musste sie natürlich unbedingt die weibliche Privatdetektivin spielen, und das wäre beinahe schiefgelaufen. Sie landete halb betäubt in seinem Badezimmer, von wo aus sie panische SMS an Nick und mich verschickte, während „Partyboy“ von außen gegen die Tür hämmerte. Wir konnten sie in letzter Sekunde retten. Liv meint, er hätte ihr nichts angetan, aber zu diesem Zeitpunkt war sie so gedopt gewesen, dass sie sich irren kann. Oder sie lügt uns an.
    „Sie schämt sich“, sagt Nick.
    „Also wirklich!“ Rasmus macht eine abwehrende Handbewegung. „Sie schämt sich? Das ist doch absurd. Es ist doch nicht ihre Schuld.“
    „Sie macht sich Vorwürfe, dass sie überhaupt in diese Lage geraten ist.“
    „Aber sie war doch nicht die Einzige?“
    „Nein, und die anderen schämen sich auch“, erklärt Nick. „Majse wollte nicht mal zur Polizei gehen, weil sie sich kaum an etwas erinnern konnte und nicht einmal wusste, ob sie auch vergewaltigt worden war. Zusätzlich zu der Sache mit den Fotos.“
    „Das ist typisch Mädchen“, sagt Rasmus irritiert. „Lieber verdrängen, dass man überfallen und ausgenutzt wurde, als es zuzugeben. Hat man den Typen denn nicht verurteilt?“
    „Doch, schon vor einem Monat.“
    „Und, sitzt er jetzt im Knast?“
    „Ja, und zwar noch mindestens zwei Jahre.“
    „Wovor hat Liv denn dann noch Angst?“
    „Ich glaube, sie braucht einfach noch ein bisschen Zeit“, antworte ich und höre selbst, wie mau das klingt.
    „Die braucht höchstens einen Tritt in den Hintern und ein bisschen Party“, sagt Rasmus.
    „Das ist also deine Kur gegen alles?“
    „Hört mal, ich verstehe ja gut, dass einem so ein Erlebnis tierisch Angst macht. Aber wenn Liv nicht darüber hinwegkommt, hat dieser Typ doch erst recht gewonnen. Seht ihr das denn nicht? Erst wenn er sie daran hindert, ihr Leben zu leben, ist sie tatsächlich zu seinem Opfer geworden, stimmt’s?“
    Liv hat sich isoliert. In der Klasse sitzt sie allein am Tisch. Für kurze Zeit war der Platz neben ihr noch von Majse besetzt, aber dann ist Majse zurück nach Jütland gezogen.
    „Ich glaube, dass das Problem in Wirklichkeit ganz woanders liegt“, sagt Rasmus. „Wenn ihr mich fragt, ist Liv einfach nie über diesen Jonathan hinweggekommen.“
    „Dich fragt aber niemand“, entgegnet Nick abweisend.
    „Aber ich habe recht, stimmt’s?“
    „Sie trägt immer noch seine Jacke“, antworte ich. „Das dürfte als Hinweis genügen.“

21. Februar
    Einen cooleren Ort als diesen gibt es in Kopenhagen derzeit einfach nicht. Hierher verirren sich keine verzweifelten, solariumgebräunten Typen aus Nord-Seeland, die mit ihrem
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