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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand
Autoren: Ina Bruhn
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bloß keine Steine in den Weg legen!“
    „Es sind aber bei Weitem nicht alle auf ihrer Seite“, sage ich. „Nicht mal alle aus ihrer eigenen Klasse. Du warst ja in den letzten Wochen gar nicht in der Schule, also kannst du es auch nicht wissen. Aber die Leute meiden sie.“
    „Meiden?“, zischt Juliane. „Als wäre das so schlimm.“
    „Außerdem kann uns das ganz egal sein, denn jetzt werden sie weder zum Abi noch zur Abiparty kommen. Tony ist wahrscheinlich froh, wenn er in Zukunft überhaupt noch ohne fremde Hilfe essen kann.“
    Dazu haben sie nichts zu sagen. Juliane verschränkt die Arme über der Brust und sieht auf die Straße hinab. Rasmus hebt mit seinem dünnen Ärmchen die Kanne und sagt, dass er neuen Tee kocht. Als er rausgegangen ist, sieht Juliane mich mit hasserfülltem Blick an: „Ich finde, du solltest jetzt gehen.“
    „Damit du ihn wieder für dich allein hast?“
    „Wie meinst du das?“
    „Du wirst Rasmus wohl kaum dabei unterstützen, sich wieder aufzurappeln und die Sache zu verarbeiten? Der Gedanke, dass er dich verlassen könnte, jagt dir doch eine Riesenangst ein.“
    „Was erzählst du da für eine Scheiße? Er ist mein bester Freund, deshalb bin ich für ihn da.“
    „Er steht unter deiner Fuchtel.“
    „Das stimmt doch gar nicht.“
    „Bist du in ihn verliebt? Nur doof, dass er nicht auf Mädchen steht, was?“
    Ihre Ohrfeige sitzt genau. Dann fängt Juliane an zu heulen, aber ich habe kein Mitleid mit ihr. In den letzten Jahren waren schon viele Mädchen wütend auf mich, nicht zuletzt Arendseund Liv, aber eine richtig ernst gemeinte Ohrfeige habe ich noch nie bekommen.
    „Jetzt hast du ihn ganz für dich allein“, sage ich und reibe mir die Wange. „Das muss schön sein. Dann könnt ihr hier sitzen und euch darüber aufregen, wie dumm alle anderen sind.“
    „Und was ist mit dir?!“, schreit Juliane. „Du rennst doch auch ständig durch die Gegend und fragst alle, ob sie Jonathan kannten. Er ist schon seit fast zwei Jahren verschwunden! Also gib es doch endlich auf!“
    „Das geht dich überhaupt nichts an!“
    „Du bist der größte Loser von allen, Mateus!“
    „Und du bist eine verlogene Schlampe, die mit den Gefühlen anderer Menschen spielt!“
    „Och, jetzt tust du mir aber leid!“
    „Nein, du kannst einem leidtun! Denn solange du dich so benimmst, werden alle Menschen früher oder später die Nase voll haben von dir, und das gilt auch für Rasmus!“
    „Halt endlich die Fresse!“
    Und so könnte unser Streit noch ewig weitergehen, aber wir wissen wohl beide, dass es keinen Sinn hat. In diesem Moment hasse ich sie, und dieses Gefühl ist zweifelsohne gegenseitig.
    „Wollen wir nicht einfach abmachen“, sagt Juliane leise, „dass du nicht mehr mit mir sprichst, wenn wir uns nach den Sommerferien wiedersehen?“
    „Aber nur, wenn du mir versprichst, auch nicht mit mir zu reden.“
    „Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“
    „Gut!“
    „Schön!“
    Sie bleibt eine Weile stehen und sieht aus, als schwele die Wut in ihr. Dann deutet sie mit dem Daumen in Richtung Flur.
    „Rasmus schreibt die nächsten Arbeiten nicht mit. Er schafft es einfach nicht.“
    „Dafür gibt es im August Wiederholungstermine.“
    „Er war schon seit April nicht mehr in der Schule! Er muss die Zwölf wiederholen.“
    „Jetzt hör mir mal zu, Hysteria. Rasmus hat einen Schnitt von unter 1,5. Ich bin mir sicher, dass er das Jahr nicht wiederholen muss.“ Ich nehme meine Jacke vom Stuhl und öffne die Tür. „Hast du Lasse erzählt, wo er Tony und Christian finden konnte?“
    Juliane hebt das Kinn: „Ja, natürlich habe ich das.“
    „Und, ist die Rache süß?“
    „Süß nicht, aber angemessen.“
    „Obwohl Tony mit einem Hirnschaden für zwei verlorene Vorderzähne büßen musste?“
    Sie ist durch und durch gleichgültig. Juliane ist eine waschechte Fanatikerin. Wenn der Rachedurst erst mal geweckt ist, gibt es keine Gnade mehr. Es ist ärgerlich, dass ich mich so lange von ihr habe täuschen und ausnutzen lassen, aber wenigstens ist es jetzt vorbei, und schon als ich die Treppen hinuntergehe, verwandelt sich mein Hass in Mitgefühl. Eigentlich kann sie einem tatsächlich leidtun.

28. Mai
    Diesmal war ich derjenige, der den alten Platz verließ, neue Mitspieler fand und sich am Ende einen Schlag ins Gesicht einhandelte. Als ich zu meiner alten Mannschaft zurückkehre, warten die Catcher auf mich, und ich wusste genau, dass sie es tun würden. Liv dreht
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