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Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein an der Wand

Titel: Spieglein, Spieglein an der Wand
Autoren: Ina Bruhn
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dem Schloss okay. Und dann hat sie noch erzählt, dass du nicht zu ihrer Hochzeit kommen willst.“
    „Hab schon was anderes vor.“
    „Ich finde, das solltest du wirklich absagen. Deine Mutter ist sehr traurig, wenn du nicht dabei bist.“
    „Aber …“
    Ich dachte, er hätte es am liebsten, wenn ich absage. Immerhin hat er fünf Tage lang an die Wand gestarrt, als ich die Einladung bekam.
    „Du kommst ja auch nicht“, sage ich.
    „Natürlich komme ich nicht“, sagt mein Vater und steht auf. „Das wäre doch auch ziemlich merkwürdig. Außerdem kann ich an dem Tag gar nicht. Wir haben einen Gig.“
    Ich gehe zum Gewächshaus hinüber. „Einen was?“
    „Einen Auftritt. Wir werden am Geburtstag von Palles Cousine in Skovlunde spielen.“
    „Ja, aber, seid ihr denn schon so weit?“
    „Tja, das müssen wir einfach bis dahin. Reich mir mal den Dünger rüber.“
    Außerdem haben sie entschieden, die eine Hälfte ihres Namens abzulegen. Jetzt heißen sie also nur noch Copy . Darüber redet mein Vater ziemlich lange, aber die Hochzeit wird nicht wieder thematisiert.
    Ich radle nach Rungsted, um meine Zusage zur Hochzeit persönlich zu überbringen. Meine Mutter freut sich so sehr, dass ich beschließe, unseren Streit von neulich zu vergessen. Wir essen zusammen zu Abend und eine Zeit lang haben wir es richtig nett. Ich reiße mich sogar am Riemen und sage etwas Nettes über den Garten. Als ich gerade gehen will, kommt Johannes Boye Lindhardt nach Hause – natürlich mit einem Kajak auf dem Autodach. Er begrüßt mich mit einem knochenbrecherischen Händedruck und fragt, ob ich nächsten Sommer mitkommen will auf eine Fahrradtour nach Island, einmal rund um die Insel. Einer seiner Freunde organisiert sie. Er hat den Arm um meine Mutter gelegt, während er redet. Sie lächelt auf diese harmonisierende Art und Weise, die sie neuerdings so gut beherrscht. Bevor sie mir noch eine Antwort auf die Ferienpläne abverlangen können, bin ich zur Haustür raus. Meine Mutter ruft mir hinterher, dass ich zu Hause Grüße ausrichten soll.
    Jonathan taucht auf, als ich am Strandvej angekommen bin. Er radelt auf dem großen, schwarzen Herrenrad, das er in der neunten Klasse für 400 Kronen erstanden hat. Hier oben im feinen Norden von Kopenhagen gesellt er sich jetzt schon zum zweiten Mal zu mir, was ich ihm gleich unter die Nase reiben muss.
    „Du warst schon immer ein Snob“, sage ich.
    Jonathan ist meine Provokation egal. Eigentlich sieht er sogar glücklich aus. Wahrscheinlich weil ich gerade Ja zu der Hochzeitseinladung gesagt habe.
    „Das heißt aber noch lange nicht, dass ich Johannes mag“, sage ich. „Und ich werde definitiv nicht an diesem Junggesellenabschied teilnehmen. Das können die glatt vergessen.“
    Wir radeln Seite an Seite durch den hellen Abend. Ein paar Kilometer lang ist alles gut. Dann biegt Jonathan in Richtung Skovshoved Havn ab und ist verschwunden.

18. Mai
    Mein Vater weckt mich, als er von seiner Vierundzwanzig-Stunden-Schicht aus dem Rigs-Hospital zurückkehrt. Er ist Anästhesist. Er sagt mir, dass er heute einen Patienten auf dem OP-Tisch hatte, den ich kenne. Ich spüre gerade, wie sich die Angst von meinen Zehen bis nach oben zu den Haarwurzeln frisst, als mein Vater beruhigend den Kopf schüttelt und versichert, dass es sich nicht um Nick handelt. Ich sage die Beerdigung in meinem Kopf ab und frage, wer es dann war.
    „Dieser Tony aus deinem Gymnasium. Sein Freund wurde auch eingeliefert, aber er war nicht ganz so schwer verletzt.“
    Sie waren gegen zwei Uhr nachts eingeliefert worden. Ein Mann, der seinen Hund ausgeführt hatte, hatte sie in einem Hof hinter einem Café in der Nansensgade gefunden. Übel zugerichtet, das sind die Worte meines Vaters. Ich bekomme nicht viele Details aus ihm heraus, aber Tony hatte offenbar sogar Gehirnblutungen.
    Ich richte mich im Bett auf. „Was heißt das genau?“
    „Das können wir nicht mit Sicherheit sagen, bevor er wieder bei Bewusstsein ist, aber es ist ziemlich wahrscheinlich, dass dadurch bleibende Schäden entstanden sind.“
    „Wie denn? Ist er dann geistig behindert?“
    „Nein, so schlimm wird es sicher nicht kommen.“
    „Sicher?“
    „Wir wissen es nicht, bevor er aufwacht. Aber es kann ein neurologischer Schaden entstanden sein. Als man ihn gefunden hat, war er schon seit über einer Stunde bewusstlos. Das meinte die Polizei jedenfalls.“
    „Und was ist mit Christian?“
    „Er hatte beide Arme gebrochen und einige
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