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Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition)
Autoren: Nadine d’Arachart
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    Brady McCarthy konnte sich kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als die belebten Straßen Dublins hinter sich zu lassen und über die schlecht ausgebauten Regional Roads ins Landesinnere zu fahren. Die Lebendigkeit der Innenstadt, ihr ständiges Wachsen und Pulsieren, war ihm lieber. Er starrte aus dem Fenster und betrachtete die in überhöhter Geschwindigkeit vorbeiziehende Landschaft. Mit dem vielen Grün hier draußen konnte er nichts anfangen, genauso wenig wie mit dem Verfall, der sich wie ein dünner Schleier über die Gegend gelegt hatte. Nahezu unsichtbar und doch vorhanden. Die Morgensonne hatte nicht genug Kraft, die Wolkendecke am Himmel zu durchbrechen und so verschwamm alles zu einer matschig grauen Masse.
    Brady rieb sich die Augen und gähnte. Der Anruf hatte ihn kurz vor der Dämmerung erreicht. Sein Partner Sean Callahan hatte ihm mitgeteilt, dass ein Frühsportler am River Camac zwischen Corbally und Brittas einen kleinen, blassen Körper im Wasser treiben gesehen hätte. Sie waren sofort aufgebrochen. Auch wenn Brady sich an Weihnachten etwas Schöneres vorstellen konnte, reizte ihn die ganze Sache. Der erste Mordfall konnte ein Sprungbrett sein – sofern er es richtig anstellte.
    Aus dem Augenwinkel registrierte Brady vier Buchstaben auf dem Asphalt und sah durch die Heckscheibe. SLOW. Obwohl die Schrift rissig und verblasst war, konnte man sie gut lesen, dennoch schien Sean sie zu übersehen. Er fuhr viel zu schnell in die scharfe Kurve und wäre beinahe mit einem Zaun kollidiert, der die dahinter liegende Weide von der Straße abgrenzte.
    »So ein Mist«, knurrte er, nur um dann mit nicht minderer Geschwindigkeit weiterzufahren.
    Brady drehte sich der Magen um. Er hatte sich in der Heiligen Nacht ein paar Whiskey gegönnt und war dann am Morgen ohne zu frühstücken aufgebrochen. Eine Tatsache, die sich jetzt zu rächen drohte. Er ließ das Fenster ein Stück herunter und sog die frische Luft ein. Aus der Ferne hörte er ein aufgeregtes Wiehern. Frei laufende Pferde und Ponys waren nach der Krise keine Seltenheit. Abgemagerte Vollblüter, die in der Nähe der Autobahnen oder auf Müllkippen nach Futter suchten, herrenlose Tiere, die in den Vorstädten herum irrten, weil sie von ihren Besitzern einfach verjagt worden waren. Es war offensichtlich, dass die Pferdenation langsam aber sicher vor die Hunde ging.
    »Sind wir bald da?« Brady konnte nicht abschätzen, wie lange sie schon unterwegs waren. Das immer gleiche Bild, das vor den Scheiben vorbeizog, hatte ihn jegliches Gefühl für Distanz verlieren lassen.
    »Du kannst es ja kaum erwarten.« Sean grinste, aber es wirkte unecht.
    »Glaubst du, es ist ein Kind?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    Brady zuckte die Achseln und schloss das Fenster. »Gibt es irgendwas , das wir schon wissen?«
    »Nein.«
    »Hast du eine Vermutung, was–«
    »Merk dir eins.« Sean blickte zu ihm herüber, wobei er die Straße für Bradys Geschmack viel zu lange aus den Augen ließ. »Vermutungen haben in unserem Job nichts zu suchen. Keine Mutmaßungen, keine voreiligen Schlüsse oder Bauchgefühle. Was zählt sind Fakten. Und wir haben keine Fakten, weil wir noch nicht einmal einen Blick auf den verdammten Leichnam geworfen haben, kapiert?«
    Brady schwieg. Es machte keinen Sinn, mit Sean zu diskutieren, wenn er so war.
    Obwohl Sean den Wagen so nahe wie möglich am Ufer geparkt hatte, mussten sie noch einige Meter über feuchte Wiese und Gestrüpp zurücklegen, bis sie endlich den Fluss vor sich entdeckten. Die Wasseroberfläche lag ruhig unter einer morgendlichen Schicht aus Dunst, nur hier und da zeugten kleine Strudel von der Kraft des Gewässers.
    »Da vorne ist es«, sagte Sean und stapfte durch einen Nebelschleier.
    Brady zog fröstelnd seine Jacke enger um die Schultern und schloss den Reißverschluss. Dann beeilte er sich, seinem Partner zu folgen.
    Ein Streifenbeamter stand neben einem Jogger am Flussufer und blickte ihnen erleichtert entgegen. »Da sind Sie ja, Detectives. Mister O’Donald hier hat den Körper entdeckt und uns direkt benachrichtig.«
    »Sehr löblich«, brummte Sean in den Fellkragen seiner Jacke. »Also, wo ist es genau?«
    Brady warf einen Blick über das Wasser. Es schien nirgends besonders tief zu sein und die Strömung nicht stark genug, um einen Menschen einfach mitzureißen.
    »Da vorne.«
    Er schaute dem ausgestreckten Finger des Joggers hinterher. Sean tat es ihm gleich, nur der Streifenbeamte hielt den Kopf
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