Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition)
Autoren: Nadine d’Arachart
Vom Netzwerk:
Frau ins Bett gegangen war, hatte er rastlos versucht, ein bisschen Ordnung im Haus zu machen, und sich schließlich zu Tammie geschlichen, in der Hoffnung, beim Anblick seiner schlafenden Tochter ebenfalls Ruhe zu finden. Doch ihre Unschuld, ihre offensichtliche Wehrlosigkeit hatte ihn nur umso mehr aufgestachelt.
    Er warf einen letzten Blick auf Tammie, die friedlich wie ein Engel da lag, dann verließ er das Zimmer und beschloss, auch das stickige Haus zu verlassen. Vielleicht würde die kühle Dezemberluft ihm helfen, seine Gedanken zu ordnen.

-4-
    Das Erste, was Amy fühlte, war Überraschung. Es war wie an ihrem Geburtstag, wenn sie aufwachte und die ganze Familie an ihrem Bett stand, um Happy Birthday zu singen. Oder wie das eine Mal, als sie in einen Apfel gebissen hatte und ihr ein Wurm entgegen schaute, weiß und klein und glänzend.
    Bis jetzt war die Sache mit dem Wurm die schlimmste Überraschung ihres Lebens gewesen – doch das hier war schlimmer. Sie war aufgewacht, hatte die Augen geöffnet und um sie herum war alles dunkel gewesen, bis auf ein kleines Viereck aus Licht. Ein Fenster, das von einem dicken blauen Vorhang verdeckt war. In ihrem Zimmer gab es aber keine Vorhänge und ihre Mum hätte es niemals so dunkel darin gemacht.
    Amys Herz begann zu pochen und ganz automatisch wollte sie aufspringen und einfach wegrennen, nach Hause laufen und alles ihrer Mum erzählen. Sie versuchte es. Sie versuchte, von diesem Bett aufzustehen und merkte, dass sie ihre Arme nicht bewegen konnte. Sie waren an den Bettpfosten festgebunden und wenn sie zog, fühlte sich das dicke Seil auf ihrer Haut wie Brennnesseln an. Ihre Beine waren mit dem gleichen Seil zusammengebunden, ihre Fußknöchel aufgescheuert und taten weh.
    Sie gewöhnte sich langsam an die Finsternis und entdeckte dunkle Flecken an ihren Beinen. Vielleicht war das Blut. Vielleicht war sie schon vorher aufgewacht und hatte das Gleiche versucht wie jetzt, gestrampelt und an den Seilen gezogen. Sie wusste es nicht mehr. Sie wusste auch nicht, wie sie hierher gekommen war und falls ihr jemand erklärt hatte, warum sie hier sein musste, hatte sie es vergessen. Ihre Augen begannen zu brennen und sie fühlte dicke Tränen auf ihren Wangen. Eine davon rollte über ihre Lippen und sie merkte, dass sie Durst hatte, so schlimmen Durst wie noch nie zuvor, und der Durst machte ihr zusätzlich Angst. Sie konnte nicht einfach runter in die Küche laufen und sich ihren pinken Barbie-Becher von Mum mit Saft füllen lassen. Sie konnte gar nichts machen.
    Erschöpft ließ sie sich zurück auf die Matratze fallen, die nach Schlamm und Keller roch. Sie machte die Augen zu und stellte sich vor, dass das alles hier nur ein Traum wäre, dass es gar nicht anders ging, weil ihre Eltern nie erlauben würden, dass sie jemand an einen Ort wie den hier brachte. Sie musste nur aufwachen, es musste irgendeinen Trick geben, um wach zu werden. Sie dachte an Toast mit Marmelade und roten Früchtetee, im Winter warm, im Sommer kalt. Sie dachte an Bugs Bunny, den sie sich samstags und sonntags morgens früh im Fernsehen ansehen durfte. Sie dachte an Mia und Sally und Abigail, die Nachbarsmädchen, die oft schon vor der Tür warteten, bis sie endlich zum Spielen raus kam. Sie wollte aufwachen, sie wollte es wirklich, aber als sie die Augen aufmachte, war sie immer noch in dem fremden Zimmer.
    Jetzt erkannte Amy, wie klein der Raum war und sie sah die Tür. Sie konnte auch die Wand erkennen, auf der ein Blumenmuster war wie in ihrem eigenen Zimmer. Aber die Blumen waren an manchen Stellen von großen schwarzen Sprenkeln verdeckt, wie in Die unendliche Geschichte , wo das Nichts immer mehr von der Welt auffraß. Amy wollte nicht von dem Nichts aufgefressen werden. Sie wollte wieder nach Hause und ihren Eltern alles sagen und dann in ihr eigenes Bett, wo es keine Seile und keinen Schlammgeruch gab. Sie presste die Augen zusammen und wünschte es sich ganz fest und dann dachte sie an ihre Kindergärtnerin, die gesagt hatte, dass man sich manche Dinge auch von Gott wünschen durfte.
    »Lieber Gott«, flüsterte sie. »Tut mir leid, dass ich nicht die Hände falte, aber ich hoffe, du hörst mir trotzdem zu. Bitte mach, dass ich aus diesem Zimmer raus darf. Bitte mach, dass meine Eltern mich abholen und alles gut wird. Ich verspreche dir, dass ich dafür auch nie wieder ungezogen bin.«
    Sie hörte Schritte und riss die Augen auf. Es funktionierte. Gott hatte ihr zugehört und schickte ihren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher