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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima
Autoren: William T. Vollmann
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ehemalige Altersheim war voller Schutt und entwurzelter Bäume. Die Bäume verrotteten schon, so dass sie die Häuserwände, an denen sie lehnten, durchdrangen wie fein gewobener Rattan, vollendet angepasst vom Webmeister und Polsterer namens Tod. Gelegentlich waren die leeren Tür- undFensteröffnungen stabilerer Häuser mit blauer Plane abgeklebt. Wir fuhren langsam durch den Schlickgeruch nach Süden, in Richtung Natori-Fluss, vorbei an gekräuselten blauen und grauen Wasserflächen und einem Schild: Seaside Park Adventure Field.
    »Mir fehlen die Worte«, sagte der Fahrer.
    Wir sahen Schlamm und Schlick und glänzendes Wasser, ein Auto, bis zur Motorhaube im Wasser, einen Polizisten mit Schutzhelm, noch mehr umgestürzte Bäume, einen umgekippten Sportwagen; das Licht spielte währenddessen hübsch auf den Reisfeldern. An einer Stelle war die Straße unterspült; der Asphalt sah idiotisch aus, wie er so in der Luft hing.
    »Sind die meisten Menschen ertrunken oder zerschmettert worden?«
    »Ertrunken, glaube ich. Einige der Autos standen in einem Verkehrsstau. Ich weiß von einem, der auf eine Kiefer geklettert ist, um zu überleben. Es war schlau von ihm, sein Auto aufzugeben.«
    Die kühle Luft kratzte mir im Hals wie Staub. Fahrer und Dolmetscherin trugen Mundschutz. Ich sorgte mich noch ein wenig wegen der Beta-Strahlung, beschloss aber, mich auf das Quadratabstandsgesetz zu verlassen, dem zufolge die Strahlung, grob gesagt, abnimmt, wenn sie sich von ihrer Quelle aus über eine größere Fläche ausbreitet. Die Natori-Brücke war mit einem Fass mit Schachbrettmuster abgesperrt worden. Mutlos stand ein Mann mit Leuchtstab und Schutzhelm neben einem blinkenden Polizeiwagen. Hinter ihm hatte es ein Boot seitlich in den Schlick gerammt.
    »Fahrer, glauben Sie, Atomkraft ist klug oder unklug?«
    »In dieser Präfektur gibt es drei Atomkraftwerke. Sie stehen höher als die von Tepco, ich glaube, das ist gut so.«
    »Dann sind Sie für die Atomkraft?«
    »Na ja, wegen des Treibhauseffekts sind Öl und Kohle nicht sauber, also glaube ich, Atomkraft ist gut, solange sie die Sicherheit garantieren.«
    Eine alte Frau in Schlabberkleidern und mit einem flatternden Tuch stolperte die Straße entlang. Ein kleiner Friedhof tauchte auf, alle Grabsteine standen aufrecht, aber zwischen ihnen war Schlamm, widerwärtig aufgeworfen. Im Hafen schien der Messepalast von außen in gutem Zustand zu sein. Ein glitzernder Haufen Toyotas, die auf die Ausfuhr gewartet hatten, war zerschmettert worden. Der frische Lack auf den Autowracks bot einen seltsamen Anblick.
    »Und was passiert in der anderen Jahreszeit, wenn der Südwind landeinwärts weht?«
    »Nun, das kommt bei uns nicht so oft vor.«
    »Einmal könnte genügen«, sagte ich.
    »Das stimmt!«, sagte er mit einem Lachen.
     
     
SCHLEMMEN
     
    Weil sich in Sendai Horden von Soldaten und Freiwilligen drängten (das gesamte Metropolitan Hotel war den Einsatzkräften zur Verfügung gestellt worden), kam ich an einer heißen Quelle unter, mehr als eine Busstunde vor der Stadt. Hier wohnten diverse bedauernswerte Angestellte der Osaka Gas Company, und morgens sah man draußen manchmal eine Lastwagenfuhre Soldaten. Das Hotel war halb leer, ein zweitklassiger Laden mit eingeschweißtem Sashimi. Aber der Inbrunst der zahlreichen Vorschriften musste man Bewunderung zollen. (»Ihrem Wunsch, die Bäder betrunken oder mit Tätowierungen am Körper zu besuchen, werden wir keinesfalls nachkommen.«) 16 Die Kellnerin versicherte mir stolz, die Kost stamme so weit wie möglich aus der Umgebung, also packte mich beim Essen wieder die Wut auf Bob, den Händler, der mir einen Messstab versprochen, aber nie geliefert hatte, und natürlich auf Tepco; denn wie konnte ich wissen, wie karzinogen der Fisch war, ganz zu schweigen von der Beilage aus nicht mehr ganz frischem Salat oder der Krebsschere in der Suppe? Dass ichetwas zu essen hatte, während so viele andere hungern mussten, wusste ich sehr wohl zu schätzen; auch galt meine Sorge nicht mir selbst, denn als Mann in den Fünfzigern hatte man schon eine Art Sieg errungen; aber was war mit den schwangeren Frauen, den kleinen Kindern, den Menschen, vor denen noch Jahrzehnte lagen, auf die sie sich hätten freuen können? In den Worten der Zeitung von gestern: »Regierung hält Zahlen über Strahlung zurück: IAEA wird informiert, die Öffentlichkeit nicht.«
    Im Hauptteil des Artikels erklärte ein ungenannter Sprecher des Wetteramts, die
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