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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima
Autoren: William T. Vollmann
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schnell nach Hause. Die Verkehrsstaus waren schrecklich, aber ansonsten ging es allen gut. Wir hatten drei Tage lang keinen Strom. Meine Enkelkinder fanden das lustig.«
    Er zeigte mit dem Finger. »Da drüben, das ist das Restaurant, das so gewackelt hat. Und sehen Sie, die Tankstelle! Die Decke ist eingestürzt …«
    »Ist der Tsunami bis hierher gekommen?«
    »Nein, das war alles das Beben.«
    »Was war Ihre Meinung, als Sie das erste Mal von dem Reaktorunfall gehört haben?«
    »Sendai ist 80 oder 90 Kilometer vom Kraftwerk entfernt, 14 also machte ich mir keine großen Sorgen. Um diese Jahreszeit haben wir ablandigen Wind, aufs Meer hinaus. Wenn der Wind auf Süddreht, dann wird es schwierig. Sie müssen das stark kontaminierte Wasser ablassen, heißt es …«
    Dieses Wort bekam ich oft zu hören: kontaminiert . Es klang weniger furchterregend als radioaktiv .
    »Wie stark ist das Meer vor Sendai kontaminiert?«
    »Ich glaube nicht, dass sie das schon gemessen haben.«
    Ich blickte auf das Dosimeter in meiner Hemdtasche hinab und freute mich, dass es noch immer 1,6 anzeigte. Wir kamen zu einem Schuppen, der aus dem Fundament gerissen worden war. Ich fotografierte ihn, und dann sagte der Fahrer mit einem Unterton der Entrüstung: »Heute, ein Fischerboot in Chosi Port, 15 man hat ihren Fang zurückgewiesen, ohne jede Inspektion!«
    Ich fragte mich laut, ob Fisch und Aale und Nahrungsmittel dieser Art jetzt vielleicht gefährlich seien. Der Fahrer wollte nicht genauer darüber nachdenken oder vielleicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen und verkündete wie ein Reiseführer: »Und jetzt biegen wir rechts ab und fahren an eine Stelle, wo die Häuser weg sind. Links haben wir hier eine größere Straße. An manchen Stellen hat sie das Wasser aufgehalten. Von den Menschen, die auf den Straßendamm hinaufgelaufen sind, haben einige überlebt.«
    »Haben Sie Angst vor dem nächsten Beben?«
    »Das Miyagi-Beben von 1978 ist lange her. Dieses letzte war nicht das, von dem die Experten geredet hatten. Die Menschen reden über das nächste; ja, vielleicht kommt wieder eins … Hier ist das Wasser gekommen«, fuhr er fort und wies über die mit umgestürzten Bäumen und Baumstümpfen gesprenkelte Schlammwüste. »Fünf oder sechs Jahre lang wird man hier nichts mehr anbauen können, wegen des Salzwassers. Sie haben Sojabohnen gezogen.«
    Eine umgestürzte Kiefer, Kabel, Schlammhaufen, verbogene Rohre, Eisenroste, umgekippte Masten, so dick wie meine Schulter, diese traurigen und hässlichen Dinge tauchten gleichförmig bis an den Schlammhorizont immer wieder auf. Auf einer Seite der Straße waren die früheren Felder mit Meerwasser überflutet.Auf der anderen, am Rand von schwappendem Schlick (frühere Reisfelder), stützte ein zweigeschossiges Haus ohne Fenster, aber offenbar intakt, ein zweites, das es dagegen geschleudert hatte, das Dach verdreht wie Teile einer zerstörten Panzerung; beide Gebäude erstickten im Müll. Eine Einheit von Angehörigen der Selbstverteidigungsstreitkräfte aus Hokkaido mit Schutzbrillen, geflochtenen Gürteln, Stiefeln und Tarnanzügen nahmen die beiden Häuser auf der Suche nach Leichen auseinander. Der Spruch, den man oft auf ihren Helmen sah, lautete: »Kopf hoch, Sendai!«
    Vom Meer wehte eine kühle Brise; ich fragte mich, ob sie mit verstrahlten Teilchen vergiftet war. Wie auch immer, mein Dosimeter zeigte noch immer 1,6 an. Auf allen Grundstücken wahrten Müllhaufen, die einmal Häuser gewesen waren, ihre Geheimnisse. Allein in dieser Präfektur waren 7 800 Menschen ums Leben gekommen, den aktuellen Zahlen zufolge. Hier kam ein Zivilist auf einem Fahrrad, ernst und hager, fuhr auf dem Feldweg an uns vorüber, hinab zwischen die Häuserstümpfe; er suchte wohl nach seinem Haus. Langsam, während die Soldaten herumstanden, öffnete und schloss sich die Klaue des Baggers und zog einen Haufen knackender Baumstümpfe hervor. Ein junger Soldat informierte mich, man habe noch keine Leichen gefunden. Als ich ihn fotografierte, stand er stramm. Die Strahlung mache ihm keine Angst, sagte er; die Wahrscheinlichkeit, dass sie bis hierher komme, sei gering.
    Das mit Müll übersäte Flachland lässt sich nur schwer beschreiben; alles war bis zur Bedeutungslosigkeit zermahlen, ein paar Fundamente konnte man noch sehen. Einer der Kollegen des Fahrers hatte hier gewohnt. Jetzt war er bei seinem Sohn untergekommen. Die Stadtviertel Okada, Gamo, Shiratori und Arahama waren verschwunden. Das
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