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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima
Autoren: William T. Vollmann
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Gesprächs aufzufordern, unliebsame Fragen nicht zu beantworten; und vor allem c) zu zahlen, zahlen, zahlen. Ich hatte immer geglaubt, dass ich genau das tat, wann immer ich Japan besuchte; ich war gewöhnt, nagelneue Zehntausend-Yen-Scheine in »Erkenntlichkeitsumschläge« zu stecken. Früher waren das etwas über 80  US -Dollar; heute waren es 125. Ich war bereit, diesen Betrag weiter auszuzahlen, besonders an Menschen in Not; meine Dolmetscherin und ihre Kusine jedoch fanden eine so kleine Summe »undenkbar«. Sie erwarteten, dass ich wenigstens 40 000 bis 50 000 Yen zahlte. Ich schaltete auf stur und forderte die Dolmetscherin auf, ihr Herz zu öffnen und auf die Beträge in meinen Umschlägen draufzulegen, was immer sie wollte, was sie auch tat, nicht ohne stummen Groll; ich bin sicher, sie hat bestimmt ihren gesamten Verdienst ausgegeben. Wir ließen es dann bei unserem Dissens. Mit diesem hässlichen Zwischenfall begann unsere Arbeit.
    An jenem Tag und allen folgenden hatte ich immer das Dosimeter im Blick und las es vielleicht öfter ab als nötig, aber ich konnte nicht wissen, wie bekömmlich die Luft von Stunde zu Stunde seinwürde. Tatsächlich zeigte das Display 0,1-Millirem-Schritte an; es gab nichts dazwischen. In San Francisco hatte es, wie gesagt, ungefähr alle 24 Stunden ebenjene 0,1 Millirem registriert, wobei die Anzeige sich irgendwann in der Nacht änderte. Auf dem Flug nach Japan wurde ich mit 1,2 Millirem belohnt, der kürzere Rückflug sollte es auf 0,8 bringen; beides ließ sich auf etwa ein Millirem pro Stunde umrechnen. In Tokio glichen die Strahlungswerte im Wesentlichen jenen in San Francisco, was mich für mich und all meine Mitmenschen freute.
    Um sechs Uhr früh betrug der kumulierte Messwert 1,5. Mein Bus fuhr um acht in Tokio ab. Ich befand mich, sagen wir, 230 Kilometer vom Reaktor entfernt. 11 Die Pflaumenbäume blühten bereits; im Süden dürfte schon die Kirschblüte eingesetzt haben. Kurz vor zwölf hielten wir zum Mittagessen in Koriyama, 58 Kilometer vom Gefahrenort entfernt, das von Bergen umstandene Land öffnete sich, die Reisfelder waren strohgelb (ein Monat noch bis zur Pflanzzeit), und auf den Gipfeln im Westen glänzte der Schnee; da schaltete die Anzeige um auf 1,6. Wir hatten die Region Tohoku erreicht, von meiner Dolmetscherin Japans Kornkammer genannt, wobei sie hinzufügte: »Ich mache mir solche Sorgen um die Zukunft.« Im Restaurant mit angeschlossenem Laden waren viele Artikel ausverkauft. Hier machten sich auch die japanischen Verteidigungsstreitkräfte bemerkbar; die Soldaten trugen flache Kappen oder Schutzhelme. Wir setzten unsere Reise nach Norden fort, bis wir uns auf der Höhe von Kraftwerk Nr. 1 befanden, dann fuhren wir weiter und erreichten am Nachmittag Sendai (208 Kilometer vom bösen Ort entfernt). Dem Dosimeter nach schätzte ich, dass die Strahlung in Koriyama mindestens doppelt so hoch sein musste wie in Tokio, was ich bei meiner Rückkehr dorthin überprüfen wollte, sobald der ungefährlichere Teil meiner Arbeit abgeschlossen wäre.
    In Tokio waren die Belastungen durch die Katastrophe kaum noch zu bemerken: hier und da ein Stromausfall, Mangel an Windeln und Hygienetüchern, die man den Verwandten im Notstandsgebiet schickte. Was Sendai anging – dort verbesserte sich die Lage; der Flughafen war zwar noch nicht wieder geöffnet, Gas zum Heizen war weiterhin nicht zu haben, und Milch, Joghurt, Eier und Zigaretten waren knapp, aber wenigstens hatte es mit der zweistündigen Wartezeit an den Tankstellen ein Ende, und es gab wieder Strom. Die Innenstadt wirkte unberührt, solange man nicht umherspazierte und auf die Warnschilder an diesem oder jenem Gebäude stieß.
    Ich nahm mir ein Taxi in das Wakabayashi-Viertel von Sendai, das schwerer betroffen war.
    »Ich hatte Dienst und war auf Tour«, sagte der Fahrer, der Sato Masayoshi hieß. 12 »Ich hatte keine Fahrgäste. Ich hörte die Erdbebenwarnung im Radio. Ich suchte mir einen freien Platz zum Parken, weil die Häuser schwankten. Man konnte nicht stehen! Ich hockte auf dem Mittelstreifen. Es dauerte gute zwei Minuten, eine Bewegung von Osten nach Süden und zurück, seitwärts. 13 Als die Erschütterungen nachließen, stieg ich aus dem Taxi, versuchte es mit meinem Handy, das kein Netz hatte, und rief dann aus einer Telefonzelle bei meiner Familie an. Es klingelte und klingelte, aber niemand nahm ab. Also bin ich zum Büro gefahren, bekam die Erlaubnis, mir frei zu nehmen, und bin
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