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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima
Autoren: William T. Vollmann
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sollten sich so weit wie möglich in geschlossenen Räumen aufhalten. Die Frau, die Hotsuki Minako hieß, hatte im äußeren Kreis gewohnt.
    Sie sagte: »Am Freitag gab es ein Erdbeben. Am Sonntag und Montag hieß es in den Nachrichten, man solle in den Häusern bleiben. Wir wollten abwarten, aber weil wir Kinder haben, sind zunächst nur meine beiden Kinder und ich mit meinem Mann nach Sendai gekommen. Nach ein paar Tagen sind die Eltern meines Mannes nachgekommen.«
    »Ihr Haus steht nun also leer?«
    »Ja.«
    »Könnten Sie mir genauer erzählen, wie sie Minami Soma verlassen haben?«
    »Als wir das Video von der Reaktorexplosion gesehen haben, sind wir sofort los. Selbst nach der Explosion glaubten wir noch, wir könnten irgendwann zurückkehren …«
    »Haben Sie die Explosion gespürt oder gehört?«
    »Nein. Wir haben nur die Bilder im Fernsehen gesehen. Es gab drei Explosionen, glaube ich« – sie hielt sich die Faust vor den Mund und überlegte. »Und wir waren besorgt, der Kinder wegen. Sonst wären wir einfach im Haus geblieben.«
    »Wenn sich jemand um Ihre Kinder kümmern würde, würden Sie dann irgendwann wieder zurückgehen?«
    »Wir haben hier kein schlechtes Leben, also ist es uns mit der Rückkehr nicht so dringend.«
    Sie hatte ein sehr rundes, mädchenhaftes Gesicht; ihr Pony lag auf ihren dicken Augenbrauen. Ihr blaues Kapuzenshirt sah zu groß an ihr aus.
    Bald, so glaubte sie, würden sie und ihre Nachbarn wieder umziehen müssen, in ein Hotel, »damit sich die Gemeinde nicht auflöst«. Sie hatten schon bei Verwandten Station gemacht, dann in einer Grundschule. Sie ging davon aus, dass sie nach dem Hotel erneut umgesiedelt werden würden.
    »Glauben Sie, dass Sie in absehbarer Zeit wieder nach Hause können?«
    »Mein Gefühl sagt mir, dass es ein Jahr dauern wird oder länger.«
    »Wenn Sie an Strahlung denken, was kommt Ihnen in den Sinn?«
    »Ich habe bei einem Tochterunternehmen von Tepco im Büro gearbeitet. Also weiß ich über die Gefahren der Radioaktivität und den Umgang damit Bescheid, aber es hieß, so gefährlich sei sie auch wieder nicht. Heute, wenn ich im Fernsehen höre, dasssie das Blut schädigen kann und so weiter, na ja, das wusste ich nicht.«
    »War Tepco ein guter Arbeitgeber?«
    »Den Arbeitern in der Nuklearanlage scheint ihr Job gefallen zu haben, aber ich habe sie nur einmal im Monat gesehen. Ich saß ja in einem Büro.«
    »Wie kommen Sie heute mit dem Geld zurecht?«
    »Wir greifen unser Erspartes an. Ich habe gehört, die Stadt wolle rund 50 000 Yen pro Haushalt zahlen, 20 aber ich habe es nicht geschafft, mich dafür registrieren zu lassen. Das Rathaus ist nicht richtig in Betrieb. Ich habe meine Arbeit verloren, aber ich weiß nicht, ob ich in dieser Präfektur Arbeitslosengeld beantragen kann.«
    »Sollen wir für Sie auf dem Amt nachfragen?«
    »Meine Firma hat noch nicht alle Formalitäten erledigt, das geht also nicht.«
    Sie hatte zwei Kinder, sieben und fünf Jahre alt. Sie waren gerade mit ihrem Mann im Park. Ich fragte, wie sie zurechtkämen, und sie antwortete: »Sie haben sich zurückentwickelt. Zuhause konnten sie alles allein. Hier, und ich weiß nicht, ob das daher kommt, dass wir schon so lange so leben, sagen sie: ›Das kann ich nicht …‹«
    Ich bat sie, mir zu zeigen, wie ihre Familie lebte. Sie zögerte. »Meine Schwiegermutter ist ein wenig deprimiert, also …« Am Ende bekam ich sie dazu, die ältere Dame wenigstens zu fragen. Diese bat mich und die Dolmetscherin höflich in den langgestreckten, fast leeren Raum, auf dessen Boden viele lange, schmale Tatamimatten ausgebreitet lagen, sehr hell und sauber, mit ein paar Taschen voller Habseligkeiten säuberlich aufgereiht an einer Wand. Laken und Decken waren säuberlich gefaltet und aufgestapelt.
    Hotsuki Keiko, die Schwiegermutter, hatte sich hingelegt. Als wir hereinkamen, setzte sie sich auf, lächelte höflich, senkte den Blick und reckte sich diskret; vielleicht hatte sie geschlafen. Siewirkte nicht viel älter als ihre Schwiegertochter. Ich verbeugte mich so respektvoll wie möglich und erkundigte mich, wie sie das Erdbeben erlebt habe.
    »Ich war gerade zuhause. Ich lief aus dem Haus, dort stand ein großer Pflaumenbaum. Ich hielt mich lange daran fest.«
    Da Minami Soma sich in einiger Entfernung vom Meer befindet, machte der Tsunami ihr persönlich keine Angst. Aber ihre Tante und ihr Onkel waren in ihrem Auto ertrunken. Glücklicherweise, sagte sie, habe die Familie ihre
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