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Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima
Autoren: William T. Vollmann
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saß meine ganze Reise über beinahe täglich wieder für 400 oder 600 Dollar im dahinkriechenden Taxi oder in einem Bus, der einen halben Tag lang stecken blieb (die Eisenbahnlinien der Gegend waren zerstört), auf dieser Straße oder jener Autobahn, von Autos verstopft oder auch nicht, ein paar Kilometer vor oder hinter Fukushima, und die Scheibenwischer tanzten in einem Regen, von dem man nicht wissen konnte, wie gesund er war, leise erklangen die Nachrichten aus dem Radio, und wenn das Taxi so zwischen anderen Autos einherkroch oder zum Stehen kam, verlor der Fahrer gelegentlich seine japanische Geduld.
    In Ishinomaki war das erste Geschoss des Supermarkts geöffnet und glänzte wie neu. Die meisten Waren waren im Überfluss der Vorbebenzeit vorhanden. Es gab nur einen Joghurt pro Kunde, einige Regale waren leer, auf anderen fanden sich Milchprodukte aus Kyushu und Hokkaido, die hier normalerweise nicht verkauft wurden. Die brandneuen Waschmaschinen waren ausverkauft, weil der Tsunami so viele zerstört hatte; aus ähnlichem Grund boomte der Autohandel.
    Die Professorin hieß Morimoto Motoko. Sie wohnte in Sendai. Nach dem Tsunami waren ihre beiden Kinder im Teenager-Alter über Nacht in der Obhut ihrer Lehrer geblieben; jetzt wohnten sie bei Verwandten in Osaka. Sie hatte sich auf den Weg gemacht, um einem ihrer Studenten Vorräte zu bringen, einem jungen Mann namens Utsumi Takehiro, der sich nun vor uns verbeugte; genau wie seine Mutter, Yoshie. Sie stiegen in ihr Auto, und wir fuhren ihnen bis nach Hause nach, da man sich in Ishinomaki nicht mehr so leicht zurechtfand wie früher. »Hinter der Straße Nr. 45«, sagte Takehiro trocken, »ändert sich das Bild.«
    Wir kamen am Gemüsemarkt vorbei, der jetzt als provisorische Leichenhalle diente, und hinter der nächsten Ecke sah ich zahlreiche tiefe Furchen in der weichen braunen Erde, mit einer Schlange von Autos und Menschen, die auf der anderen Seite senkrecht darauf zu lief, und im hintersten dieser offenen Gräben lagen weiße Särge. Takehiros Großmutter lag hier begraben. Der Tsunami hatte sie erwischt. Aus der Art, wie er über sie sprach, schloss ich, dass er sie sehr gemocht haben musste.
    »Ich habe sie nicht tot gesehen«, sagte er. »Meine Eltern haben jeden Tag hundert Tote gesehen. Sie haben dann auch sie gefunden. Jetzt wird es ein Jahr dauern oder zwei, bis die Toten eingeäschert werden. Zuerst werden sie provisorisch begraben. Dann werden sie wieder exhumiert. Es gibt nur ein paar Krematorien, also muss man warten, bis man an der Reihe ist.« 21
    »Mein Beileid«, sagte ich.
    »Auch unser Hund ist umgekommen, weil er angekettet war. Wir haben ihn nach Niigata gebracht, wo mein Vater gearbeitet hat, und ihn dort einäschern lassen. Aber zum Transport einer menschlichen Leiche braucht man ein Spezialfahrzeug, und die sind knapp.«
    Nun kamen Schlammhaufen, umgekippte Anhänger, eingedrückte Wände, zerknautschte Autos, das aberwitzige Gerüst einer Hütte, das kaum das unversehrte Dach tragen konnte, viele Hilfskräfte und Bagger mit blauen Schaufeln, halb zerschmetterte Häuser auf einer hässlichen schlammigen, von Gräben zerfurchten Ebene, mannshohe Schutthaufen am Straßenrand; und so gelangten wir in den Bezirk Tsukiyama (die Wolken wie weiße Schieferplatten, die Sonne in den Wipfeln der Rotkiefern und Staub in meiner Kehle). Mehrere große Öltanks waren explodiert und hatten zahlreiche Feuer verursacht. Wir rollten an den Ruinen der Papierfabrik vorbei, deren runde Warenballen triefnass und tropfend dalagen. Papier war inzwischen Mangelware, merkte Frau Utsumi an.
    »Mein Onkel ist mit dem Hubschrauber gerettet worden und war im Fernsehen«, sagte Takehiro stolz.
    Am Horizont lag ein amerikanisches Kriegsschiff auf dem graublauen Meer. Da kam eine lange sanfte Brandungswelle mit ach so sauberer Gischt herein. Eine ihrer Vorgängerinnen, der Tsunami, hatte auf den Überresten des Deichs einen riesigen Treibstofftank abgesetzt. Weiter ging unsere Fahrt durch die malerische Landschaft, zwischen noch mehr Schlammhaufen hindurch, daneben Treibstofftanks, auf Dächer geworfen oder durch sie hindurchgekracht, an Bäumen lehnende Autos, Straße für Straße Hässlichkeit; und nun bogen wir in einen Weg mit neu angelegten Schrottplätzen ein, und Takehiro sagte: »Das ist mein Haus.«
    Sein Nachbar von nebenan, Kawanami Shugoro, machte uns schwarzen Kaffee, auf einem Butangaskocher auf dem staubbedeckten wackeligen Tisch in seinem ruinierten
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