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Liebesbisse

Liebesbisse

Titel: Liebesbisse
Autoren: Claire Castillon
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Fundsache
    Sie schiebt Liebesbriefchen, manchmal auch Süßigkeiten in die Ärmel eines Pullovers, unter die Träger eines Unterhemds. In Strümpfe steckt sie Sätze und zärtliche Worte, die sie von Dichtern und aus Groschenheften stiehlt.
    Heute aber hat sie sich leider selbst im Weg gestanden. Wie immer hatte sie Angst, zu wenig Zeit zu haben. Dabei hätte sie ihm ruhig das Hemd mit der gefaltelten Tasche bügeln können, wenn sie ein wenig schneller gewesen wäre. Sie weiß, dass er es sehr mag, er hat es in Nizza gekauft. Der heiße Dampfhauch gefällt ihr doch immer so. Wenn das Plätteisen an der Knopfleiste entlangfährt, denkt sie an Bahngleise. Und wenn sie aus Versehen eine Falte in den Stoff bügelt, denkt sie an ein Zugunglück. Daraus ist jetzt nichts geworden; schade. Sie ist zu früh aufgebrochen. Sie beeilt sich. Sie wartet gern auf seinen Zug, wenn er zu ihr fährt, und sie ist immer schon auf dem Bahnhof, bevor der Ankunftsbahnsteig angezeigt wird. Sie stellt sich unter die Anzeigetafel, in der Hand den Koffer, den sie ihm geben und dafür den anderen Koffer in die andere Hand nehmen wird, den Koffer mit seiner Schmutzwäsche, mit seinen müden Schuhen, den Hotelseifen, dem Puder, den Streichhölzern, Geschenken, Schätzen, die er ihr bringt.
    Im hinteren Kofferfach ist eine Kleinigkeit, sagt er lächelnd und küsst sie, bevor er geschwind wieder davonflattert wie ein Schmetterling. Allen, die sie bemitleiden, kann sie somit beweisen, dass sie geliebt wird.
    Er arbeitet ständig. Sie sehen sich auf dem Bahnsteig zwischen Ankunft und Abfahrt. Dort trifft sie ihren Mann und tauscht mit ihm unauffällig die Koffer. Die Leute fragen sich wohl, welche verbotene Substanz sie beinhalten. Ihre Liebe? Ihre unfruchtbare Liebe? Eines Tages wird er länger bleiben. Sagt er. Sie glaubt ihm, ihrem Mann, ihrem tollen Geliebten, der manchmal so zerstreut ist. Er ist ihre Liebe, sie liebt ihn. Was spielt es da schon für eine Rolle, dass er sich nicht allzu oft die Mühe macht, mit ins Haus zu kommen, und dass er vor allem in den letzten Monaten ununterbrochen von Stadt zu Stadt zieht? Wenn er in den Zug steigt und sie allein heimkehren muss, winkt sie, dann geht sie und prägt sich seine Platznummer ein. Wagen acht, Sitz siebenunddreißig. Sie zwinkert acht Mal und drückt siebenunddreißig Mal die Hand zusammen, die den Koffer hält.
    Sie wartet auf seinen Anruf. Er nennt ihr die Ankunftszeit des Zuges, den Bahnhof, sagt ihr, aus welcher Richtung er kommt oder wohin er fährt. Bei falschen Angaben gerät sie in Panik. Es kam schon vor, dass er ihr eine Ankunftszeit mitteilte, die sie sich falsch gemerkt hat; oder vielleicht hatte auch er sich geirrt, egal. Hektik, Hast, fast verpasst man sich. Sie rennt hinter dem Zug her, der schon abgefahren ist, und streckt die Arme ganz hoch, um die Sonne zu berühren, um den Koffer noch hinaufzuhieven, um ein Lächeln zu ernten. Dann platzt das Ganze. Die Wäsche überall verstreut, der Koffer kaputt. Sie sammelt Zuckertütchen, Zahnstocher, Honig und auch Konfitüre auf, die auf den Bahnsteig oder auf die Gleise gefallen sind. Sie weiß, dass er sie anrufen wird. Schade, der Delsey-Koffer war so stabil. Ist er denn wirklich geplatzt? Kann sie ihn reparieren? Zu Hause hört sie auf die Kofferrollen. Im Wohnzimmer verschluckt der dicke Teppichboden alle Geräusche, doch wenn sie durch den Flur oder das Schlafzimmer geht, dröhnen die Rollen auf den Holzdielen. Um einzuschlafen, im Sessel zusammengekauert, die Wange auf der Armlehne, denkt sie an seine Zukunft, an sein nächstes Ziel. Statt eines Abendessens knabbert sie an einem Sandwich, es ist eines von denen, die sie normalerweise nicht isst und die ihr Mann grässlich findet, wie er sagt.
     
    An Weihnachten konnte er nicht nach Hause kommen. In ein Tuch gewickelt hat sie einen kleinen Kiesel aus Étretat in einen Schuh gesteckt, dorthin hatte er sie mitgenommen, als sie sich kennengelernt hatten. Er hat nicht darüber gesprochen, aber sie weiß, dass er ihn gefunden hat.
    Sie schätzt sich glücklich, so sehr zu lieben. Sie sagt sich, dass die Frauen im Viertel, die abends oder sonntags mit ihren Männern ausgehen, nicht die gleiche Freude am Waschen und Bügeln haben. Vor fünfzehn Jahren hatten sie sich das Jawort gegeben, auf dem Standesamt und in der Kirche; Lieder und ein Festessen, sie im weißen Kleid und mit dem schön gebundenen Tuch im Haar; die Hochzeitsnacht stand bevor, es war ihr erstes Mal. Sie werden
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