Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Phantom von Schreckenstein

Das Phantom von Schreckenstein

Titel: Das Phantom von Schreckenstein
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
Der Ahnherr
     
    „Alarm! Die Hühner sind da!“
    Aufgeregt flüsterte der kleine Eberhard die Neuigkeit in das stockdunkle Zimmer. Kein Licht flammte auf, keiner schwang sich aus dem Bett, er vernahm nur gleichmäßiges vierstimmiges Schnarchen.
    „Sssst!“ zischte er und stupste mit zwei Fingern in den nächststehenden Daunenberg. „Kommt schon zu euch! Die Hühner sind da.“
    Endlich reagierte einer, zuerst mit Grunzen, dann, nachdem er sein Gehirn eingeschaltet hatte, mit der Frage: „Wer gackert denn da mitten in der Nacht?“
    „Die Hühner!“ wiederholte der kleine Eberhard. „Die Hühner sind da.“
    Eine Taschenlampe blendete den Schlaftrunkenen, so daß er die Hand vors Gesicht halten mußte.
    Die Jungen von Burg Schreckenstein verstanden unter Hühnern nicht etwa die Lieferanten jener höchst geschätzten Eier, die es in Senfsoße jede Woche einmal zum Mittagessen gab. Nein, so nannten sie ihre Lieblingsfeinde: die Schülerinnen vom benachbarten Mädcheninternat Schloß Rosenfels, das auf der anderen Seite des Kappellsees lag. Nächtliche Streiche gegeneinander waren Tradition, seit die Jungen aus Neustadt, zusammen mit ihren Lehrern, in der Burg von Graf Schreckenstein Unterschlupf gefunden hatten. Die außergewöhnliche Gemeinschaft in der mittelalterlichen Burg, in der es sogar eine Folterkammer mit gräßlichen Marterwerkzeugen gab, brachte die Jungen dazu, den ritterlichen Tugenden nachzueifern. Darum nannten sie sich auch Ritter – was die Mädchen von Rosenfels in Idiotenritter umgewandelt hatten.
    Eberhards Alarm hatte das Schnarchquartett auf die Beine gebracht. Im kissengedämpften Schein einer Taschenlampe stieg Schulkapitän Ottokar in seine Trainingshose und fragte: „Wo hast du sie gesehen?“
    „Gar nicht“, antwortete der kleine Eberhard. „Aber gehört. Und wie laut!“
    „Wo?“ wollte Stephan wissen und zog seine Turnschuhe an.
    „Ich mußte mal raus“, berichtete der Mini—Ritter, „und wie ich zurückkomme, hör ich ein Getrampel und Geknarze von der großen Treppe her. Ich dachte…“
    „Satter Irrtum!“ unterbrach ihn der selten fröhliche Fritz. „Seit wann trampeln Hühner?“
    „Wer soll’s denn sonst sein?“ verteidigte sich der Mini, „die sind doch längst überfällig mit einem Streich gegen uns.“
    „Eben.“ Walter band sich sein Sprungseil um, das neben Taschenlampe und Dietrichen zur Schreckensteiner Streichausrüstung gehörte. „Weil sie annehmen müssen, daß wir sie erwarten, werden sie besonders leise sein.“
    Ottokar und Stephan gingen zur Tür. Wie meistens hatten die beiden Freunde denselben Gedanken und sprachen ihn, wie gewohnt, auch gleichzeitig aus. „Nun sind wir ja wach. Also schauen wir mal nach.“
    Vom Südflügel der Burg, in dem ihr Zimmer lag, war es zur großen Treppe ein weiter Weg, durch West— und Nordflügel. Nicht nur deswegen wählten sie die Abkürzung. Im Winkel zwischen Süd— und Westflügel schlichen sie die kleine Treppe hinauf. Mini—Ritter Eberhard latschte im Schlafanzug hinterher. Oben blieben sie stehen und lauschten ins Dunkel. Totenstille.
    Doch das besagte nichts. Vielleicht waren andere da und hatten sie bemerkt. Minutenlang warteten die fünf reglos. Die Kühle der Herbstnacht kroch an ihnen hinauf.
    Ottokar machte sich zum Eßsaal auf, um dort nachzusehen; Stephan verschwand in Richtung Ostflügel zur großen Treppe; Walter stieg die kleine Treppe weiter hinauf, denn auch das Wohnzimmer durften sie nicht auslassen.
    „Fehlanzeige“, meldeten alle drei, als sie zurückkamen.
    „Caso claro!“ meinte Fritz, in Eigenbaulatein soviel wie klarer Fall. „Was sollten sie auch hier oben?“
    „Gehen wir“, entschied Ottokar, nachdem sie noch eine Weile in die Dunkelheit gelauscht hatten.
    „Aber ich hab sie ganz deutlich gehört. Bestimmt!“ ereiferte sich Mini—Ritter Eberhard und unterdrückte ein Niesen.
    „Stopf dir Watte in die Ohren, damit deine Phantasie nicht wieder mit den Zähnen klappert!“ riet ihm Stephan.
    Und Walter meinte: „Wenn du dich im Unterricht irrst, genügt das völlig.“
    Sie ließen ihn stehen. Die Betten waren noch warm, gleich würden sie weiterschlafen. Doch als sie sich auf die Seite legten und die Decke über den Kopf zogen, um endgültig nicht mehr gestört zu werden, dröhnte der Herzschlag in ihren Schläfen. Oder kam das von draußen?
    Ottokar fuhr hoch. „Horcht mal!“
    Sie lauschten.
    Es war nicht der eigene Herzschlag, vielmehr ein dumpfes Klopfen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher