Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
Vom Netzwerk:
information overload tauchen auch ganz neue Krankheitsbilder auf: Der auf das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) spezialisierte Psychiater Edward Hallowell spricht bereits von der »ADSierung unseres Alltags« – die Symptome seien »Rastlosigkeit, Ablenkbarkeit und das ständige Gefühl, sich beeilen und unbedingt noch etwas erledigen zu müssen«.
    Eine andere psychologische Studie hat herausgefunden, dass die Konzentration sofort schwindet, wenn man eine Aufgabe zum Beispiel durch kurzes Checken der E-Mails oder Abschweifen ins Netz unterbricht. Je länger und intensiver die Unterbrechung sei, desto schwieriger sei es, sich wieder auf die Hauptaufgabe zu konzentrieren. Nach einer Minute Unterbrechung und Ablenkung braucht man im Schnitt mehr als fünfzehn Minuten für die Refokussierung auf die Hauptaufgabe. Unabhängigen Schätzungen zufolge ginge so durchschnittlich 28 Prozent eines Arbeitstages verloren.
    Hirnforscher und ehemals netzeuphorische Publizisten wie der amerikanische Blogger und Buchautor Nicholas Carr sind sich offensichtlich einig in dem Befund, dass unser massiver Internetkonsum und die viele Zeit, die wir vor dem Computer verbringen, das menschliche Gehirn verändert. Das Gehirn passt sich dem Blitzgewitter schnell verabreichter Infosplitter an, indem es neue Synapsen aufbaut und vorhandene nicht mehr so häufig benutzt. Und es verliert dabei die Fähigkeit zu Konzentration und Kreativität. Ein Befund, den der Feuilletonchef der FAZ, Frank Schirrmacher, in seinem etwas aufgeregten und reißerischen Buch Payback für ein deutsches Publikum aufbereitete und um Warnungen vor dem Untergang des Abendlandes oder zumindest all unserer mühsam erworbenen Kulturtechniken ergänzte.
    Wieder eine andere Studie beziffert die Kosten der Folgen von information overload für die amerikanische Wirtschaft allein im Jahr 2009 mit neunhundert Milliarden Dollar. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die sich den Anforderungen der modernen Welt nicht mehr gewachsen fühlen; das Burn-out-Syndrom wird immer häufiger; der Einsatz von Antidepressiva und Muntermachern steigt seit Jahren rasant an.
    Die Menschen, von denen all diese Studien berichten, tun mir irgendwie leid. Aber gleichzeitig werde ich das Gefühl nicht los, selbst auf dem besten Weg in diesen Strudel aus information overload und Zeitmangel zu sein. Kurz vor dem totalen Systemabsturz meiner eigenen Festplatte. Ich fühle mich ertappt. Als ich mir schließlich eingestehe, dass auch ich zu denjenigen zähle, in deren Wortschatz und Leben das Wort »Muße« nicht mehr vorkommt, nehme ich mir vor herauszufinden, warum das so ist – und vor allem: es zu ändern!
    Ich mache mich jetzt auf die Suche nach den Ursachen meiner Atemlosigkeit. Ich will herausfinden, warum ich nie Zeit habe. Und wer dieses Hamsterrad eigentlich antreibt, in dem ich, ja, in dem wir alle leben. Eines ist mir jedenfalls klar. Ich will meine frühere Gelassenheit zurück und endlich mehr Zeit mit meinem Sohn verbringen können, ohne dabei ständig auf die Uhr oder mein neues iPhone schauen zu müssen. Vielleicht finde ich dabei, ganz nebenbei, ja auch eine Antwort auf die ewige Menschheitsfrage: Wie wollen wir eigentlich leben?
    Wie wesentlich die Auseinandersetzung mit dieser Frage und ein Nachdenken über den individuellen und gesellschaftlichen Beschleunigungswahnsinn für unser Leben ist, hat mir der Soziologe und Beschleunigungsexperte Hartmut Rosa deutlich gemacht, den ich im März 2010 in Jena besuchte. Vieles von dem, was er mir damals in unserem langen Gespräch über den Tempowahn der modernen Gesellschaft sagte, hallt seitdem in meinem Kopf nach.

Hartmut Rosa: Ich kam auf die Idee, dass Zeitstrukturen irgendwie wichtig sind, weil ich aus einem kleinen Dorf im Hochschwarzwald komme, das eigentlich noch sehr langsame Zeitrhythmen hat. Dann ging es für mich nach Freiburg, was mir zuerst überwältigend groß vorkam, und kurz darauf nach London oder New York. Da ist mir aufgefallen, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Orten verschiedener Größe das Lebenstempo ist. Die Art und Weise, wie man da Welt und Zeit wahrnimmt. London und New York sind vibrierende, hochenergetische Städte. Und ich dachte, irgendwie bin ich da anders in die Zeit gestellt in so großen Städten als in meinem Ursprungsdorf.
    Also begann ich zu erforschen, wie sich die Zeitstrukturen in der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher