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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
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gerade sitze, um hinaus in die Welt zu schauen. Ich spaziere bei Spiegel Online vorbei, scanne kurz die Überschrif ten und lese ein, zwei kurze Artikel, schaue bei Kicker.de, was es so alles Neues in der Welt des Fußballs gibt, danach YouTube, um noch kurz irgendwo die aktuellen Plattenkritiken zu lesen. Schwuppdiwupp sind zwanzig Minuten vorbei, in denen ich mindestens einen Absatz hätte schreiben oder andere dringende Arbeit hätte erledigen können, ja müssen. Danach gucke ich nochmal, ob ich neue E-Mails bekommen habe, so wie bereits zwanzigmal zuvor an diesem Morgen. So geht es den ganzen Tag. Egal womit ich beschäftigt bin: Sobald mein Mailprogramm das Geräusch einer hereinkommenden Mail erklingen lässt, muss ich sie sofort lesen. Es ist wie ein Reflex. Irgendwas in mir hält, in der Sorge, etwas zu verpassen, keinen Aufschub aus. Auch während ich diesen Text gerade schreibe, habe ich neben meinem Textverarbeitungsprogramm noch fünf weitere Programme und unzählige Fenster geöffnet: Mehrere Internetseiten, mein Mailprogramm, iTunes und so weiter. Und am Abend zu Hause? Oder am Wochenende? Ein ähnliches Bild.
    Eine typische Szene: Ich spiele gerade mit Anton und seiner Holzeisenbahn oder lese ihm eine Gutenachtgeschichte vor. Plötzlich klingelt das Telefon. Sofort schalten mein Hirn und mein Körper auf Alarmzustand um. Wer könnte es sein? Eine Redakteurin? Der Produzent meines Films? Meine Mutter? Ist irgendwas passiert? In den seltensten Fällen schaffe ich es, meinem dringenden Bedürfnis zu widerstehen und nicht sofort aufzuspringen und ans Telefon zu gehen. Meist ist die reflexhafte Neugier zu groß und duldet wieder mal keinen Aufschub. Aber auch wenn ich es schaffe, bin ich nicht mehr bei der Sache, bis ich weiß, wer angerufen hat und warum. Natürlich kann der Kleine überhaupt nicht verstehen, was so dringend sein soll, dass man dafür so etwas Wichtiges wie unser Eisenbahnspielen unterbricht, und protestiert lautstark. Zu Recht, denn ich kann mich eigentlich an kaum einen Anruf erinnern, der tatsächlich je so wichtig war, dass er die Unterbrechung gerechtfertigt hätte. Woran ich mich aber sehr wohl erinnern kann, ist das ständige schlechte Gewissen meiner Familie gegenüber. Und was ich fast noch ein bisschen schlimmer finde: Seit mein Sohn ein Jahr wurde, ist er verrückt nach Handys. Tolles Vorbild, der Papa.
    Die vielen Online-Informationen und E-Mails, die ich täglich höchstens noch überfliege, führen zwar dazu, dass ich immer mehr erfahre, aber immer weniger weiß. In den letzten Jahren ist mir irgendwie die Fähigkeit abhandengekommen, mich tiefgreifend mit etwas beschäftigen zu können. Früher habe ich gern und viele Bücher gelesen – mein volles Bücherregal zeugt noch von diesen glorreichen Tagen. Ich kaufe zwar nach wie vor Bücher, vielleicht mehr denn je. Doch der Aufwand, sie dann auch zu lesen, ist mir zu groß. Das Gefühl, immer oberflächlicher zu werden, macht sich bereits seit ein paar Jahren mehr und mehr in mir breit. Manchmal habe ich den Eindruck, ich denke schon wie ein Computer und bin im Blitzgewitter beschleunigter Informationshäppchen tatsächlich nur noch in der Lage, von einem Klick zum nächsten zu denken.
    Natürlich hätte es auch noch schlimmer kommen können mit mir. Denn in gewisser Hinsicht bin ich ja eigentlich auch noch altmodisch und konservativ. Denn bisher bin ich weder Mitglied eines sozialen Netzwerks wie Facebook, StudiVZ (dafür bin ich ohnehin zu alt) oder MySpace geworden, noch tummelt sich ein Avatar von mir irgendwo im Second Life. Bis vor relativ kurzer Zeit hatte ich noch nicht einmal ein Smartphone. Ehrlich! Keinen BlackBerry, kein iPhone.
    Bis vor kurzem! Tja, was soll ich sagen? Mittlerweile hab ich eins. Lange hatte ich diesen Kampf gegen ein noch tieferes Eindringen der digitalen Welt in die bislang E-Mail-freien Zonen meines Lebens geführt. Ein erbittert geführter Kampf gegen mich selbst – und für eine letzte Insel der Freiheit und der Unerreichbarkeit. Engelchen gegen Teufelchen. Ohnehin schon von Caro für internetsüchtig gehalten, wollte ich auf keinen Fall zulassen, dass die digitale Wolke noch weitere Sphären meines Lebens verseucht. Ich wollte niemals einer dieser von mir immer hochmütig belächelten Wahnsinnigen sein, die im ICE oder am Gate des Flughafens nur noch obsessiv auf die
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