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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
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modernen Gesellschaft ändern. Ich glaube, das tun sie seit langem und dass Modernisierung ein Prozess der Veränderung der zeitlichen Verhältnisse ist, besonders der Beschleunigung, also des Schnellerwerdens von vielen Prozessen, die für unser Alltagsleben wichtig sind. Mich interessiert, wie sich die Art und Weise, wie die Menschen »Welt erleben« und wie sie in die Welt gestellt sind, verändert und warum. Es sind nämlich gar nicht so sehr unsere Wertvorstellungen, die unsere Welt- und Lebenseinstellung prägen, sondern die Zeitverhältnisse. Es wird so etwas wie ein Dauerdruck auf uns moderne Menschen ausgeübt, und dadurch entsteht eine gewisse Atemlosigkeit und Hast bei uns.
    Das ungeheure Paradox an der Beschleunigung besteht dabei darin, dass wir umso weniger Zeit haben, je effizienter wir im Zeitsparen werden. Das ist die große Frage, wo die Zeit eigent lich bleibt, die wir ständig einsparen. Das ist wirklich spannend. Wir freuen uns ja, wenn wir ein neues technisches Produkt erworben haben, das ist fast immer eine Zeitersparnis, ganz egal wie das aussieht. Also ob wir ein Navigationsgerät kaufen oder ein iPhone oder sonst etwas, immer wird versprochen, jetzt können wir sofort und gleich Dinge tun, für die wir früher viel Zeit gebraucht haben. Ich kann jetzt sofort ins Netz gehen, ich kann jetzt sofort wissen, was ich wissen muss, Bahnverbindungen oder das Wetter … und trotzdem habe ich die Zeit nicht.
    Die Zeitnot dieser Gesellschaft ist im gleichen Maße gestiegen wie ihre Fähigkeit, Zeit zu sparen. Und diesem Paradoxon, diesem seltsamen Rätsel, dem wollte ich mal nachgehen. Das ist zwar jedem bekannt und jedem bewusst, aber woran es liegt, ist durchaus nicht bekannt. Die Wissenschaft hat sich dieses Problems bisher nicht angenommen. Also, wo ist die Zeit geblieben?

TEIL 1 – Stimmt was nicht mit mir?

Wie ein Seminar viel Rettung verspricht und ich wenig verstehe – Zeitmanagement für Anfänger
    Meine Reise beginnt am Berliner Hauptbahnhof. Bahnhöfe sind wie Flughäfen »Teilchenbeschleuniger« und damit irgendwie auch sehr typisch für unsere beschleunigte Zeit. Der Berliner Hauptbahnhof mit seiner futuristisch anmutenden Architektur ist hierfür ein Paradebeispiel. Hier ist fast 24 Stunden lang das hochgetaktete hektische Treiben des modernen Großstadtmenschen zu beobachten – der ideale Ausgangspunkt für meine Entdeckungsreise durch Raum und Zeit. Um mich herum drängeln sich die Menschen in der Starbucks-Filiale, vor dem McDonald’s-Counter und in der Bahnhofsbuchhandlung, um vor der Reise von A nach B noch schnell noch etwas zu konsumieren.
    Ich bin einer von ihnen. Als ich von weitem die Schlange am Serviceschalter der Deutschen Bahn abscanne, bin ich schlagartig genervt. Sie ist zu lang. Viel zu lang. Warum sitzt da wieder so wenig Personal? Ich stelle mich schlecht gelaunt in die Schlange und trete unruhig von einem Bein aufs andere. Um hier eine Fahrkarte zu bekommen, würde ich mindestens zwanzig Minuten warten müssen. Zeit, die ich nicht habe. Nach drei Minuten habe ich keine Lust mehr und suche den nächsten freien Ticketautomaten, um dort meine Fahrkarte zu kaufen. Nicht ohne sofort ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
    Ich weiß natürlich auch, dass die Bahn, so wie andere Konzerne, die Ungeduld von Leuten wie mir seit langem eiskalt ausnutzen, um Personal abzubauen. Es ist ein altes Rezept. Man verschlechtert den Service so lange, bis die Kunden freiwillig auf Automaten oder das Internet umsteigen. Je mehr von uns das tun, desto weniger Mitarbeiter braucht es am Serviceschalter. Und das alles im Dienste der Effizienzsteigerung und der Beschleunigung. So heißt es dann in lupenreinem Businessdeutsch. Meine Ungeduld führt also letztendlich auch dazu, dass sich die freundliche Dame am Schalter demnächst nach einem neuen Job umsehen kann. Und ich in Zukunft nur noch Automaten anlächeln darf. Na bravo!
    Dass dieses Szenario tatsächlich immer näher rückt, habe ich spätestens bei meinem letzten Besuch bei Ikea feststellen können: Als ich dort einkaufen war – ohnehin schon eine Qual für mich und ständiger Quell von Beziehungskonflikten –, wollte ich meinen Augen kaum trauen: Dort gibt es mittlerweile Kassen, an denen Kunden ihre Einkäufe selbst einscannen müssen. Gefühlte zwei Dutzend dieser Schalter wurden von einer oder zwei hin und her
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