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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
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Bürogemeinschaft, mache mir den vierten Kaffee des Tages und beginne intensiver über das nachzudenken, was mich vor allem in den letzten Wochen nicht mehr losgelassen hat: Ticken wir noch richtig?!
    Eigentlich nimmt unsere durchschnittliche Lebenszeit seit Jahrzehnten zu. Doch den meisten von uns rinnen die Stunden und Tage immer schneller durch die Finger. Wir haben es eilig, wir hetzen uns. Ständig. Das ist offenbar zum charakteristischen Lebensstil unserer Zeit geworden. Um mich herum scheint sich seit einigen Jahren das Dasein enorm zu beschleunigen. Und zwar in allen Lebensbereichen. Bei der Arbeit, in der Freizeit, im Privatleben und vor allem in der Kommunikation. Jeder Jugendliche daddelt doch heute mit seinem Handy, seinem Laptop und seiner PlayStation in einem Tempo und einer Frequenz, die Gordon Gecko, den raffgierigen Börsenhändler aus dem Film »Wall Street« in den neunziger Jahren, vor Neid hätte erblassen lassen. E-Mails, SMS, MySpace, Facebook, Twitter: Die Gesellschaft kommuniziert sich hysterisch um den Verstand.
    Aber die Zauberwörter »Beschleunigung«, »Effizienzsteigerung« und »Wachstum« sind nicht nur bei den neuen Kommunikationstechniken zu einem Mantra geworden, das nicht weiter hinterfragt wird. Auch die Politik weiß auf die größte Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahrzehnte reflexartig nur mit einem Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu antworten. Wachstum allein reicht wohl nicht mehr. Es muss jetzt auch noch beschleunigt werden. Und wenn es dann mal richtig ernst wird, kommt dann wohl auch noch das »Wachstumssteigerungseffizienzbeschleunigungsgesetz«. Jawoll. Und alle nehmen das hin.
    Welches Ziel verfolgen wir eigentlich mit der ständigen Beschleunigung? Wem nützt sie? Wartet dahinter irgendwo eine bessere Welt oder ein besseres Leben auf uns? Und wo ist die Zeit eigentlich hin, die wir in den letzten Jahrzehnten durch die immer ausgeklügelteren Technologien, Synergieeffekte und Effizienzmodelle des digitalen und spätkapitalistischen Zeitalters gespart haben? Wer hat sie sich unter den Nagel gerissen?
    Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Ich sitze immer noch auf dem etwas abgewetzten Sofa in der Küche unseres Gemeinschaftsbüros und merke, dass etwas Besonderes passiert ist: Ich habe tatsächlich eine Stunde am Stück nachgedacht, ohne mich selbst dabei durch sinnlose digitale Übersprungshandlungen zu unterbrechen. Ich habe weder E-Mails noch SMS verschickt oder gelesen. Es funktioniert also doch noch, das Denken. Ich freue mich so sehr angesichts dieses kleinen Siegs über meine schlechten Angewohnheiten, dass ich entscheide, den Rechner heute nicht mehr anzumachen. Stattdessen rufe ich Caro an, um mich mit ihr und Anton zum Abendessen in der Kneipe um die Ecke zu treffen. Aber die Fragen, die ich mir an diesem Nachmittag gestellt habe, lassen mich nicht mehr los.
    Also habe ich angefangen, zu recherchieren und nach Artikeln und Büchern zu googeln, um herauszufinden, warum sich unser Leben ständig beschleunigt und warum mir und uns allen die Zeit ausgeht. Zuerst eher unregelmäßig und als willkommene Ablenkung von meiner eigentlichen Arbeit als Filmemacher. Dann aber immer intensiver. Denn was ich da las, fand ich extrem spannend, aber auch ein bisschen spooky . Vor allem warf es immer weitere Fragen bei mir auf und machte mich immer neugieriger. Vielleicht sollte ich ja mal einen Film darüber machen? Eine kleine Kostprobe gefällig?
    Unser Lebenstempo hat sich in den letzten zweihundert Jahren verdoppelt. Obwohl die registrierte Gesamtarbeitszeit sinkt, fühlen sich immer mehr Menschen permanent unter Termindruck, Entscheidungsstress und Zeitnot. Fast die Hälfte der Deutschen gibt an, unter chronischer Zeitknappheit zu leiden, und von Umfrage zu Umfrage werden es mehr. Das Gefühl der Zeitnot wird von vielen sogar als extreme psychische Belastung wahrgenommen, selbst vier von fünf Kindern in Deutschland geben schon an, unter Zeitdruck zu leiden. Obwohl es Millio nen von Arbeitslosen gibt, rackern heute in manchen Branchen viele Arbeitnehmer fünfzig, sechzig oder siebzig Stunden pro Woche.
    Auch in anderen Studien erfahre ich Erstaunliches über das Leben des postmodernen Menschen und hoffe dabei insgeheim, dass es bei mir noch nicht so weit ist. So verbringt die Hälfte der Deutschen mehr Zeit vor ihrem Computer als mit Freunden oder der Familie. Mit dem
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