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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
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flitzenden Servicemitarbeiterinnen beaufsichtigt, die aushelfen, wenn es mal hakt. Dabei waren sie aber sichtlich überfordert und taten mir irgendwie ein bisschen leid, weil sie nicht nur den Unmut der Kunden abbekamen, sondern auch den ihrer Kolleginnen, deren Arbeitsplatz sie gerade überflüssig machten. Bei Ikea habe ich mich aus Protest noch an eine von einer leibhaftigen Kassiererin besetzten Kasse angestellt. Damals habe ich dieses Spiel nicht mitgemacht. Gleichzeitig war mir klar, dass ich wahrscheinlich schon beim nächsten Mal nicht mehr so konsequent sein würde. Schließlich waren diese »Innovationen« ja genau für Leute wie mich gemacht. Typen, die es immer eilig haben.
    Wenigstens fällt mir heute öfter als früher auf, wie ungeduldig ich bereits beim geringsten Anlass werde. Das ist doch schon mal was, versuche ich mein Gewissen zu beruhigen. Als ich endlich meine Fahrkarte in den Händen halte, spurte ich los und verfluche innerlich jeden, der mir vor die Füße gerät. Als ich am Bahnsteig ankomme, entfährt mir schon wieder ein genervtes Stöhnen. Verdammt, mein ICE hat dreißig Minuten Verspätung. Ich ärgere mich maßlos und zücke mein Handy, um das irgendjemandem mitzuteilen. Nur wem?
    Ich empfinde Warten stets als Zumutung. Von wem, weiß ich auch nicht. So wie ich immer weniger von dem, was ich tue und was mir widerfährt, erklären kann. Sobald ich zum Beispiel ein Restaurant betrete, suche ich den Raum sofort mit nervösem Blick nach dem Kellner ab, anstatt einfach darauf zu warten, dass er kommt, um meine Bestellung aufzunehmen.
    Auch jetzt am Bahnsteig nehme ich eine Zeitung aus meiner Tasche und überfliege die Überschriften, um, nun ja, um die Zeit totzuschlagen, die mir an anderer Stelle vermeintlich so sehr fehlt. Während ich tatsächlich anfange, darüber nachzudenken, und mich zunehmend weniger über die Verspätung und mehr über meine mangelnde Gelassenheit ärgere, rollt der Zug auf dem Bahngleis ein.
    Meine erste Station führt mich in die Nähe von Frankfurt am Main. Bei meinen Recherchen bin ich auf eine Menge Bücher zum Thema »Zeitmanagement« gestoßen. Sie tragen Titel wie Simplify your Life, Don’t hurry, be happy, Mehr Zeit für das Wesentliche oder einfach Das 1 x 1 des Zeitmanagements . Und sie alle haben eins gemeinsam: Sie sind Bestseller. Es scheinen sich also wirklich eine Menge Leute mit ähnlichen Problemen herumzuschlagen wie ich. Auch Hörbücher und DVDs zum Thema verkaufen sich wie warme Semmeln. Und wer es richtig ernst meint mit der Optimierung seines Zeitmanagements, der meldet sich zu einem Seminar an, übers Wochenende oder nach Feierabend. So wie ich.
    Also habe ich mich kurzerhand zu solch einer Veranstaltung angemeldet. Natürlich nicht zu irgendeiner, sondern zu einem Late-Night-Seminar von Prof. Dr. Lothar Seiwert, dem Zeitmanagementpapst in Deutschland. Bei meiner Recherche hatte ich erstaunt festgestellt, dass eine ganze Branche von solchen Vortragsveranstaltungen lebt, die auf Neudeutsch »Keynotes« heißen und auf denen sich die Besucher Tipps für ein erfolgreiches und glückliches Leben holen. Die Keynote-Speaker, also die Redner oder Coaches auf diesen Seminaren, sind in bestimmten Kreisen regelrechte Stars und füllen regelmäßig große Säle. Es scheint mir, als hätte sich dabei jeder Keynote-Speaker auf ein bestimmtes Thema spezialisiert, etwa »Der Erfolgsnavigator«, »Einfach mehr Charisma«, »Erfolgreich mit den Waffen der Frau« oder eben »Mehr Zeit für das Wesentliche«. Jedes Jahr werden die erfolgreichsten Keynote-Speaker prämiert, und die allererfolgreichsten schaffen es sogar in die German Speakers Hall of Fame oder bekommen einen Life Achievement Award.
    Auf der Zugfahrt nach Frankfurt blättere ich den Prospekt für das Seminar durch und frage mich, wie eine solche Veranstaltung wohl abläuft und welche Leute sie besuchen. Dem Prospekt nach zu urteilen, werde ich mich unter lauter Managern wiederfinden. Die Seminare richten sich offensichtlich an Leute, die es schon zu etwas gebracht haben, den bisherigen Erfolg aber gern noch ausbauen und ihr Leben weiter optimieren wollen. Ob ich da wirklich hineinpasse? In mir macht sich kurz ein leichter Zweifel breit, ob die 250 Euro, die dieser Abend für die Teilnahme kosten wird, wirklich gut investiert sind und ob ich den
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