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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
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Ansprüchen an die Zielgruppe wirklich genüge. Vielleicht hätte ich ja doch besser meinen Anzug angezogen. So, wie ich jetzt aussehe, falle ich jedenfalls sofort auf. Ich bin ein bisschen aufgeregt.
    Das Seminar findet in einem Kongresshotel in Königstein statt, das schon mal bessere Tage gesehen hat. Das Ambiente hatte ich mir ein bisschen luxuriöser und dem Managerpublikum angemessener vorgestellt. Aber was soll’s? Eigentlich ist es ja ganz sympathisch, wenn hier nicht so dick aufgetragen wird. An der Kasse erhalte ich gegen Vorlage meines Personalausweises einen Button mit der Aufschrift »Zukunftsmanager«, den ich mir als Erkennungszeichen für die anderen Seminarteilnehmer auf meinen Pullover kleben soll. Dann geht es eine Treppe runter zum Vorraum des großen Kongresssaals, wo sich die ersten Seminarteilnehmer an Büchertischen schon mit Ratgebern der heute sprechenden Keynote-Speaker eindecken. Andere testen gerade einige überdimensionierte und etwas futuristisch aussehende Trainingsgeräte, die hier auch zum Kauf angeboten werden und die »effektives Workout« und »Anti-Aging« versprechen. Für dieses Workout muss man nichts anderes tun, als sich auf den Apparat zu stellen und sich zwei Gurte umzuschnallen, erklärt der Vertreter von Activit, der Firma, die diese Geräte verkauft. Dann beginnt der lustige Apparat von selbst, an den Gurten zu rütteln. Das hält fit, stärkt Körper und Geist und lässt die Pfunde purzeln, wird der Vertreter nicht müde zu betonen. All-in-one sozusagen, ohne den lästigen Gang ins Fitnessstudio. So lässt sich auch Zeit sparen. Praktisch, denke ich mir. Vielleicht komme sogar ich ja dann auch wieder dazu, mich fit zu halten.
    Meine Augen suchen den Raum nach dem Hauptredner des Abends ab, Prof. Dr. Lothar Seiwert. Ich bin mit ihm vor Beginn des Seminars zu einem kurzen Interview verabredet. Das ist der Vorteil meines Journalisten- und Filmemacherdaseins: Ab und zu bekommt man eine kleine Sonderbehandlung. Da ich Seiwert nicht gleich finde, schaue ich mir, während ich mich an einer Kaffeetasse festhalte, weiter das Treiben der anderen »Erfolgsmanager« in meiner Nähe an. Es herrscht eine seltsam aufgeregte und aufgedrehte Stimmung. Und es ist eine ebenso seltsame Mischung von Leuten. Wie Topmanager sehen die allerdings nicht aus. Eher wie Sachbearbeiter bei der Sparkasse Rheda-Wiedenbrück oder Versicherungsvertreter. Jedenfalls ziemlich weit weg von meiner Lebenswirklichkeit.
    Ist das hier vielleicht so was wie ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung? Ich weiß es nicht. Man vertut sich ja immer und denkt, dass die meisten anderen Menschen ähnlich sind, fühlen und denken wie man selbst oder das eigene Umfeld. Die Leute hier reißen den Verkäufern die Ratgeber praktisch aus den Händen, als fänden sie darin Exklusivwissen, das nur für sie und für niemand anderen bestimmt wäre. Und einige scheinen, im Gegensatz zu mir, nicht zum ersten Mal auf einer solchen Veranstaltung zu sein. Ich erspähe Lothar Seiwert, den Zeitmanagementpapst, auf der Bühne. Er bereitet gerade seine PowerPoint-Präsentation und verschiedene Tricks vor, die er während seines Vortrags vorführen wird, und macht den Sound- und Lichtcheck. Wir verabreden uns zu einem kurzen Interview in seinem Hotelzimmer.
    Als er mir eine halbe Stunde später die Zimmertür öffnet, hat er sich bereits für seinen Auftritt zurechtgemacht. Es ist ein, na, sagen wir mal, ungewöhnlicher Anblick. Vor mir steht ein älterer Mann Ende fünfzig mit Föhnfrisur, der ein rosafarbenes Hemd mit weißem Kragen und einen Frack mit Weste in Nadelstreifen trägt. Sein Outfit erinnert mich an die barocke Garderobe eines Thomas Gottschalk bei »Wetten, dass …?« und kommt mir doch overdressed vor. Seiwert empfängt mich mit professioneller Freundlichkeit.
    Ich muss gar nicht lange fragen. Sobald ich sitze, beginnt Seiwert seine Geschichte herunterzuspulen. Man merkt ihm an, dass er das nicht zum ersten Mal tut. Die Betonungen wirken ein wenig einstudiert. Schließlich ist er schon seit über dreißig Jahren im Geschäft. Er hat als Managementtrainer in einem internationalen Konzern angefangen, war dann einige Jahre in einer Unternehmensberatung und schließlich zwölf Jahre im Hochschuldienst tätig. Nebenbei hat er freiberuflich Seminare, Trainings und Coachings
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