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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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hab eigentlich keine Zeit … ich denke mir, ich hab das alles hinter mir gelassen …»
    «Als ich dich kennengelernt habe, hatte ich den Eindruck, du bist vom Schreiben wie besessen. Ich dachte, das ist für dich das Wichtigste im Leben. Und du hast es einfach aufgegeben. Ich finde das erbärmlich.»
    «Erbärmlich war vielleicht das, was ich geschrieben habe.»
    «Aber du hast es nicht mal mehr versucht.»
    «So ist es nun mal. So ist das nun mal im Leben.»
    Ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass ihr diese Antwort überhaupt nicht behagte.
    Ihr Blick sagte:
    «Nein, so ist das Leben eben nicht. Es gibt im Leben nichts endgültig Festgeschriebenes. Das Leben ist nicht statisch. Aber wir spulen unsere eingespielten Abläufe ab, in denen es keine Unwägbarkeiten, keine Träume mehr gibt. Du solltest schreiben, einfach irgendwelche Wörter hinschreiben. Das ist immer noch besser als aufzugeben. Sonst geben wir am Ende alles auf. Ich bin ja nicht unglücklich mit dir. O nein, ich bin nicht unglücklich. Aber ich bin auch nicht glücklich. Ich spüre, wie mir der Glaube an das Glück abhandenkommt. Ich spüre, wie schnell die Zeit vergeht und dass das Leben viel zu kurz ist, um sich der Erbärmlichkeit zu verschreiben. Ich habe ein dringendes Verlangen nach Glück.»
    Genau diese Rede konnte ich ihrem Gesicht ablesen. Wir teilten unser zartes und beständiges Glück, aber ich fühlte, dass Louise mich so, wie ich war, nicht liebte. Manchmal glaubte ich, dass ich eine Enttäuschung für sie war. An anderen Tagen war ich stolz, ein verantwortungsbewusster Erwachsener geworden zu sein. Im Gegensatz zu Louise hielt ich es für möglich, dass das Leben eines modernen Helden genauso aussah: Jeden Tag früh aufstehen, um arbeiten zu gehen, sich um das Kind kümmern, den Familienurlaub planen, rechtzeitig die Grundsteuer und die Autoversicherung zahlen. Es hat etwas Heldenhaftes, im erschöpfenden Wahnsinn alltäglicher Verpflichtungen zu bestehen.
     
    Erschöpfend war auch das ständige Gezerre, weil wir immer auf unterschiedliche Sachen Lust hatten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben die Dinge sich ja wie folgt entwickelt: Erst entfaltete sich das Glück; das heißt, es entstand ein Recht auf Glück, ein Anspruch auf Freizeit und bezahlten Urlaub. Das war in den 1930er-Jahren, unter der Volksfrontregierung mit Léon Blum. Es folgte eine zweite Phase des gesellschaftlichen Fortschritts: Man könnte sie mit der
Ausbildung des Rechts auf Unbefriedigung
umschreiben. Diese Phase setzte in den 1970er-Jahren ein, ihre Früchte sind etwa die Legalisierung der Abtreibung oder die Möglichkeit von Ehescheidungen. Man darf nicht vergessen, dass Ehebruch in Frankreich bis 1975 gesetzlich verboten war. Wir haben somit das Recht erworben, über unser Glück zu befinden. Und da befinden wir uns jetzt, in der dritten Phase, die vielleicht die quälendste ist: in der Phase der permanenten Unschlüssigkeit. Wir haben das Recht auf Glück, wir haben das Recht, unbefriedigt aus unserem Glück hervorzugehen, in anderen Worten: Uns steht eine Vielzahl von Möglichkeiten offen. Aber was ist der richtige Weg? Ich spürte, dass meine innere Unruhe einen hochmodernen Beiklang hatte. Ich wollte leben, aber ich wollte auch das Gegenteil von leben. Ich liebte Louise, ich liebte unser Leben und unser Kind, und doch glaubte ich manchmal, daran zu ersticken. Ich dachte mir, das Glück liegt vielleicht woanders, in einer anderen Stadt, bei einer anderen Frau. Wenn ich solche Gedanken hatte, wurde ich barsch. Dann stürzte ich mich in die Arbeit. Ich hatte Verständnis für das, was Louise mir vorwarf. Ich hatte meine Sehnsüchte begraben. Schlimmer noch, ich fing an, wie mein Vater zu werden. Ich dachte an mein Hotel und an die Gäste, genauso,wie er immer an seine Bank und seine Kunden gedacht hatte, wenn er am Abend heimgekommen war. Tja, ich schrieb nicht mehr. Aber man musste endlich der Wahrheit ins Auge sehen: Ich hatte nie geschrieben. Ich hatte dafür andere Qualitäten. Meine ganze Lebenseinstellung war romanhaft, meine Art, die Dinge zu sehen, nur die Wörter wollten mir eben nicht zufliegen. Sie flatterten um mich herum, aber ich konnte sie nicht greifen und mit ihnen eine Welt umschreiben. Das war wohl die schönste Erklärung für das, was in mir schlummerte.
     
    An jenem Abend, an dem ich Louises Gesicht eine Rede ablas, haben wir miteinander geschlafen.
    Mir schien, als wollten sich ihre naiven Rundungen dafür entschuldigen, dass
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