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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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brachen wir in Gelächter aus. Wir waren anscheinend wahnsinnig geworden. Ich liebe diese Momente im Leben, in denen sich Liebesleid als meteoritenhafte Grille entpuppt. Dieser Tag würde uns unvergesslich bleiben.
    «Welch eine fantastische Reise», sagte ich.
    «Sicherlich sind wir die Ersten, die auf die Idee kommen, dieses Krankenhaus zu besichtigen.»
    «Du bist aber schon ein bisschen verrückt.»
    «Du hast ein krankes Hirn. Und neuerdings bist du auch noch gewalttätig.»
    «Du bist labil. Und unberechenbar.»
    «Du auch. Ein unberechenbarer Träumer.»
    «Ich bin wenigstens dynamisch. Du bist leidenschaftslos.»
    «Ich bin komplex. Das ist nicht das Gleiche. Du erkennst die feinen Unterschiede nicht, das ist dein Problem.»
    «Louise … mein Problem ist, dass ich dich liebe.»
    «Ich liebe dich auch, aber für mich bist du nicht das Problem, sondern die Lösung.»
    «Okay, ich seh schon, ich kann mit dir mal wieder nicht ganz mithalten. Du bist zu gewieft. Wenigstens brauch ich dich heute bloß mit einem Auge zu sehen, das verschafft mir etwas Linderung.»
    «Gefalle ich dir mit einem Auge?»
    «Ja. Du erinnerst mich an eine Sonnenfinsternis.»[ ∗ ]
    Als beklommen, aber unerschütterlich Liebende verließen wir das Krankenhaus. Louise wollte noch einmal in das Museum zurück, in dem sie davor allein gewesen war. Damit wollte sie Wiedergutmachung betreiben, die ohne mich verbrachte Zeit zurückdrehen. Eine angenehme Art, die Dinge wieder einzurenken, fand ich. Sie zeigte mir die Bilder, die ihr am besten gefallen hatten, und ich betrachtete einäugig die Meisterwerke spanischer Malerei. Am nächsten Tag flogen wir zurück. Ich hatte einen dicken Verband um den Kopf; wie ein aus dem Krieg heimkehrender Soldat.
    ∗ Da ich die Stelle noch einmal lese, fällt mir ein, dass Louise, bevor sie sich zur Sonnenfinsternis mauserte, ein Stern war (mein dritter Stern). Anscheinend neigt sie dazu, sich kosmisch auszuweiten.

64
Antoni Gaudís Erinnerungen
    Der große katalanische Architekt Antoni Gaudí, dessen berühmtestes Bauwerk wohl die prachtvolle Sagrada familia in Barcelona ist, war ein komischer Kauz. Als sehr gläubiger Christ legte er einige Fastenkuren ein, an denen er fast gestorben wäre. Zahlreiche Todesfälle in seinem näheren Umfeld hatten ihn tief geprägt. Er stürzte sich in die Arbeit, die ihm immer mehr Anerkennungeinbrachte. Mit siebzig hatte er es einerseits zu großem Ruhm gebracht, verachtete andererseits jedoch alles Materielle und lebte fast mittellos. Als er von einer Straßenbahn überfahren wurde und starb, hielt man seine Leiche für die eines Bettlers. Erst am darauffolgenden Tag stellte man fest, dass der Verunglückte der «Dante der Architektur» war. Während er im Sterben lag, elend und verlassen, zog noch einmal seine Jugend an ihm vorüber. Und seine Studienzeit. Als der Direktor der Architekturschule in Barcelona ihm sein Diplom überreichte, hatte er gesagt: «Wer weiß, ob wir diesen Titel einem Verrückten oder einem Genie verleihen – nur die Zeit wird es uns sagen.» An diesen Satz erinnerte sich Gaudí im Augenblick seines Todes und starb in der Ungewissheit, ob ihm nun das Genie oder der Wahnsinn nähergestanden hatte.

65
    Ich verbrachte viel Zeit damit, meinen Sohn zu messen. Ich sagte zu ihm, dem armen verängstigten Kind: «Oh, wie du gewachsen bist!», auch wenn es sich im Vergleich zur Vorwoche um höchstens zwei Millimeter handelte. Zeit war nun keine horizontale Größe mehr, sondern eine vertikale. Ich machte Striche an einer weißen Wand, um seine Entwicklungskurve zu markieren. Hier war er ein Jahr alt, dort zwei, bei dem Strich da oben vier, und schließlich, bei dem letzten Strich war er schon ein kleiner Mann: fünf Jahre alt.Manchmal saßen Louise und ich bei einem Glas Rotwein vor dieser Wand und bemerkten, wie irrsinnig schnell die Zeit verrann. Eines Abends deutete ich auf einen etwas höhergelegenen Punkt:
    «Was glaubst du, was wird aus ihm geworden sein, wenn er so groß ist?»
    «Oje … dann ist er in der Pubertät. Er hat Pickel, räumt sein Zimmer nicht auf und hat gegen alles, was man ihm sagt, Einwände.»
    «Und was, glaubst du, wird aus uns geworden sein?»
    «…»
    «Du sagst ja gar nichts?»
    «Wir werden immer noch da stehen, wo wir jetzt stehen. Wir haben aufgehört zu wachsen», sagte Louise, die mit einem Mal traurig geworden war. Nach einer Pause fragte sie:
    «Wirst du wieder mit dem Schreiben anfangen?»
    «Keine Ahnung … ich
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