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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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ich wieder vor dem Restaurant, in dem ich vor ein paar Stunden mit meinem Vater gegessen hatte. Die Bedienung machte gerade Feierabend, trotz ihrer sichtlichen Müdigkeit ging immer noch der gleiche Zauber von ihr aus. Vielleicht hatte sie mir so sehr gefallen, dass mich mein Unterbewusstes wieder hierhergeführt hatte? Ich war mir nicht sicher. Verwirrt bis panisch brütete ich alle möglichen Sätze in meinem Kopf aus. Wenn ich sie ansprach … was könnte ich sagen? Eine Bedienung, die gerade acht Stunden gearbeitet hatte, zu fragen: «Guten Abend, darf ich Sie auf ein Gläschen einladen?», fand ich lächerlich. Alle Sätze, die mir in den Sinn kamen, waren absurd. «Danke noch mal für die Nudeln», war wohl der Gipfel meiner Uninspiriertheit. Ich war noch nie sehr geschickt darin, Leute anzusprechen. Ich sollte daher die Möglichkeit, auf diesem Wege eine Frau kennenzulernen, am besten schnell vergessen. Aber hatte ich wirklich Lust, eine kennenzulernen? Ich konnte es nicht einmal mit Sicherheit sagen. Was ich sagen konnte, war, dass dieses Mädchen mir gefiel. Und jetzt, da sie nur ein paar Meter weg von mir auf dieser Straße stand, schlug mein Herz, als wolle es mir etwas mitteilen. Ihr Haar war so schön; man sollte solchen Mädchen nicht erlauben, in italienischen Restaurants zu arbeiten. Es gibt ein Maß an Schönheit, das mit einerPizza nicht unter einen Hut zu kriegen ist. Da mir die Worte fehlten, nahm ich die Füße und heftete mich ein wenig an ihre Fersen. Ich spürte, der Abend fing erst richtig an.
     
    Leider traf sie ein paar Meter weiter auf einen Mann, der auf einem Motorrad saß. Er gab ihr einen Helm, doch bevor sie ihn aufsetzte, küsste sie diesen Mann stürmisch auf den Mund. Ich erstarrte. Meine sich regende Erregung (die wohl mehr einer fixen Idee als dem Mädchen geschuldet war) nahm mit bedauernswerter Schnelligkeit ab. Sie rauschten davon, hinaus in die Nacht, und ich empfand Zuneigung zu ihnen. Auch ich war einmal glücklich gewesen.
     
    Ich war auch jetzt glücklich. Ich liebte meine Ungebundenheit, die mich in die Katastrophe oder ins Licht führen mochte. Ich dachte, Louise hatte mich verlassen, um mich mein Leben leben zu lassen, auch wenn ich es nicht lebte. Sie hatte gemerkt, dass ich nicht glücklich war, noch bevor ich es selbst gemerkt hatte. Indem ich mich in das Kostüm des verantwortungsbewussten Mannes zwängte, hatte ich mich von dem entfernt, der ich einst war. Die Trennung warf mich auf die Ungewissheit zurück, die künstlerische Schaffensprozesse befördert. Es mochte unbedeutend erscheinen, aber was ich gerade erlebt hatte, war Stoff für ein paar Abschnitte. Ich fühlte, in mir rumorte ein Roman. Später sollten mir auch noch wirklich erstaunliche Dinge passieren. Dazu gehört nicht zuletzt dieses: Vollkommen zufällig begegnete ich dem Mädchen vom Friedhof wieder. Der jungen Frau, von der ich am Grab von Sonia Senersonden Blick nicht hatte lassen können. Sie saß in einem Café. Ich sah sie an, sie sah mich an, und ich glaube, wir erinnerten uns beide unserer früheren Blicke. Ich hatte mir damals so sehr gewünscht, sie wiederzusehen, dass ihr Gesicht sich für immer in mein Gedächtnis eingeprägt hatte. Meine Sehnsucht hatte sie gegen das Vergessen gewappnet. Ich ging mit leicht weichen Knien auf sie zu.
    «Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern …»
    «Doch, ich erinnere mich», gab sie zurück.
    Wir lächelten leise, wie in geheimem Einverständnis. Doch nach einem Augenblick der Verlegenheit, einem süßen Augenblick, muss man dazusagen, wünschte ich ihr einen guten Tag und ging meiner Wege. Der Zufall würde entscheiden, ob wir uns eines Tages wiedersehen würden.
     
    Ein paar Wochen später waren Winterferien. Paul kam zu mir zu Besuch. Paris war nun nicht mehr sein tägliches Einerlei, sondern ein Ferienziel. Wir würden die Stadt wie Touristen erkunden. Ich hatte mir ein hübsches Programm ausgedacht. Und ich sollte ein seltsames Glück erfahren: Das Glück des Alleinerziehenden. Das Glück, mit seinem Kind allein zu sein. Ich hatte zu meinem Sohn immer ein vertrautes Verhältnis gehabt, aber seitdem Louise mit ihm weggezogen war, hatte sich dieses Verhältnis geändert. Wir gingen ins Musée d’Orsay, und ich habe noch sein verlegenes Glucksen beim Anblick von
Der Ursprung der Welt
von Gustave Courbet im Ohr. Wir tuckerten mit dem Vergnügungsdampfer über die Seine, und ich konnte ihm nicht erklären, warum man zu diesen Schiffen
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