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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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unsichtbar, sie heckte ihre Pläne heimlich aus wieein Attentat. Ein Attentat, dem ich nun zum Opfer gefallen war. Sie wollte leben. Das sagte sie oft: Ich will leben. Der plötzliche Tod ihrer Mutter drängte sie dazu, sich totalitär auszuleben. Sie tyrannisierte sich selbst mit den eigenen Glücksvorstellungen; ihre Diktatur duldete kein Nachlassen ihrer Selbstentfaltung. Das hieß, da war nichts zu machen. Es gab auch nichts weiter zu sagen. Nach einer Weile standen wir auf, und ich sagte:
    «Okay, ich glaub, ich nehm dann doch ein Twix. Wenigstens ein Twix.»
    «Nehmen Sie sich eins, ich schenk’s Ihnen.»
    Ich war ernsthaft gerührt; da wurde bei aller Niedergeschlagenheit doch ein Ausrufezeichen gesetzt. Nein, ein Komma.
     
    Einige Tage gingen vorüber, in denen ich mich wunderte, dass ich keine schlimmeren Qualen litt. Ich ging in der Arbeit auf und vergaß in manchen Augenblicken, dass mir eine Scheidung bevorstand. Am meisten machte mir wohl dieser Gedanke zu schaffen: Dass sich unsere Liebesbündnisse einfach so lösen konnten. Wie eine langsam wirkende Narkose. Trotzdem redete ich jeden Abend mit Louise. Das war extrem verwirrend, denn wir hatten sanfte Gespräche, und manchmal fragte ich mich, ob wir jetzt noch ein Paar waren oder nicht. Wir empfanden eine große Zärtlichkeit füreinander. Wir achteten darauf, die Vergangenheit nicht schlechtzumachen. Hin und wieder fragte ich sie: «Willst du dich wirklich trennen?» Und sie antwortete: «Hör bitte auf damit.» Ich kannte sie genau. Mir war klar,es war sinnlos, immer wieder darauf zurückzukommen. Ein neuer Lebensabschnitt würde beginnen. Leider war ich nicht sehr begabt darin, neue Abschnitte zu beginnen. Anfänge waren nicht so ganz meine Sache. Als Erstes musste ich es meinen Eltern sagen. Ich schob den Zeitpunkt hinaus. Ich dachte mir: Wenn ich es ihnen sage, gestehe ich unwiderruflich, dass die Gegenwart der Vergangenheit angehört. Mein ganzes Glück wäre offiziell vorbei.
     
    Ich rief meinen Vater an, um mich mit ihm in einem Pariser Restaurant zum Essen zu verabreden. Er nahm den Vorschlag erst etwas widerwillig auf (normalerweise kam ich ja zu ihm), ließ sich dann aber doch überreden. Aus dem besonderen Anlass trug er eine Krawatte. Ich wunderte mich bloß. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr mit Krawatte gesehen. Mir wurde klar, dass dieses Essen für ihn
wirklich
ein feierliches Ereignis darstellte. Wir trafen uns bei einem kleinen Italiener in der Nähe der großen Boulevards. Als er mich erblickte, kam er schnell auf mich zu. Er verkündete auf der Stelle, dass man in dieser Ecke unmöglich einen Parkplatz fand:
    «Zwanzig Minuten hab ich gesucht!»
    «Ist das eine Art, mich zu begrüßen?»
    Zum Ausgleich beglückwünschte er mich zur Auswahl des Restaurants. Er trug eine merkwürdig gute Laune zur Schau. «Das Problem ist bloß, man muss sich zwischen Pasta und Pizza entscheiden», kommentierte er dennoch mit einem Anflug von Schopenhauer in der Stimme. Die Bedienung, eine ziemlich hübsche, trat an unseren Tisch. Ich dachte mirerst, ich könnte ja versuchen, mit ihr zu flirten, ihr meine Telefonnummer hinterlassen, keine Ahnung, ich musste irgendwie wieder in die Singlerolle schlüpfen. Aber dann besann ich mich, mir fiel plötzlich ein, dass ich überhaupt keine Chance bei ihr haben würde. Ich hatte keinen Schimmer, wie man an die zehn Ziffern einer weiblichen Telefonnummer gelangte (zehn Ziffern, das war eine ganze Menge; ich fühlte mich höchstens imstande, ein oder zwei zu ergattern). Als ich in das Gesicht meines Vaters blickte, wurde mir deutlicher denn je zuvor, dass mir eine Zeit der Einsamkeit ins Haus stand. Mein Leben lang hatte ich mich in dem Glauben gewähnt, mit diesem Mann nichts gemein zu haben, und auf einmal fand ich mich in der mehr oder weniger gleichen Situation wie er wieder. Da saßen wir nun, wie zwei verlassene Nullen. Dieser Umstand drückte auf meine Stimmung. Ich schätzte meine Lage eigentlich gar nicht so schlecht ein, aber der Gedanke daran, dass sie an die meines Vaters erinnerte, war mir unerträglich. Er entschied sich für Pasta, und ich nahm eine Pizza; damit war doch schon etwas gewonnen in Sachen Wiederherstellung der Unterschiede.
     
    Aber das reichte nicht. Während er mühsam vor sich hin kaute, sah ich in ihm die Projektion meiner eigenen Zukunft. Er sprach bei diesem Essen von gar keinen eigenen Plänen, von irgendeinem Buch oder Film.[ ∗ ] Er hatte anscheinendkeinerlei
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