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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
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Perspektive. Null. Das Einzige, was ihn umzutreiben schien, war eine Streitigkeit mit den Nachbarn, und er nahm sich bei dieser Gelegenheit zusammen, um einen leichten Unterton zu unterdrücken, der seinen unverkennbar galoppierenden Rassismus zutage förderte. Hass auf die anderen ist immer noch das beste Mittel, um die eigene Leere zu füllen. Ich wusste nicht recht, wie ich die Geschichte mit Louise einfädeln sollte. Da er mein Leben mit einer Spur Missgunst beobachtete, fürchtete ich, die letzte Bastion seiner Zukunftserwartung zu zerstören. Aber ich musste es ihm sagen.
    «Papa, ich wollte dich auch sehen, weil ich dir etwas sagen wollte.»
    «Weißt du was, ich auch. Das trifft sich ja dann. Ich war ganz überrascht, als du gestern Abend angerufen hast, um mit mir Essen zu gehen. Weil ich dir nämlich was sagen wollte, was ich dir lieber direkt als am Telefon sagen wollte.»
    «…»
    Dieser Dialog erinnerte mich an eine frühere Begebenheit.
    Wie üblich war er zuerst an der Reihe.
     
    Ich hörte ihm also zu:
    «Also … du wirst dich wahrscheinlich wundern … aber mir ist etwas sehr Schönes passiert … O ja … etwasganz Schönes … ich hätte nicht geglaubt, dass so etwas noch mal passieren würde …»
    «Wie? Hast du jemanden kennengelernt?»
    «Nein.»
    «Was dann?»
    «Deine Mutter ist wieder da.»
    «…»
    «Ja. Seit vergangener Woche. Eines schönen Morgens hat sie geklingelt. Ich hab nichts Großartiges gemacht. Ich hab die Tür aufgemacht, und da stand sie. Ich hab kein Wort gesagt. Sie ist in die Küche gegangen, ich hab ihr einen Kaffee angeboten, und sie hat gesagt: gern. Und das war’s eigentlich schon. Wir haben nicht groß geredet. Sie ist wieder zu Hause. Sie hat geweint und gesagt, dass sie mich vermisst hat. Ich hab auch geweint. Wir sind wieder zusammen. Kannst du dir das vorstellen? Wir sind wieder zusammen. Wir haben uns gefragt, wie wir es dir beibringen sollen. Ich hoffe, du freust dich genauso wie wir.»
    «…»
    Meine Reaktion fiel aus seiner Sicht wohl enttäuschend aus, mir verschlug es nämlich die Sprache. Das ging mir nicht in den Kopf: Sie lassen sich scheiden in dem Moment, in dem ich ihnen sagen will, dass ich heirate; und in dem Moment, in dem ich ihnen sagen will, dass ich mich scheiden lasse, kommen sie wieder zusammen. Ich sagte mir das immer wieder vor, aber es war nicht der Moment, daraus irgendeine Theorie abzuleiten. Ich fühlte mich elend, erbärmlich, hundserbärmlich. Ich hatte den Eindruck, das Leben wollte mich zugrunde richten. Es gefiel sich darin,die Dinge so zu gestalten, dass sie mir übel mitspielten. Für die absurde Dimension und den bitteren Humor dieser ergreifenden Szene hatte ich im Moment keinen Sinn. Dabei hatte ich den Abend noch lange nicht überstanden. Als Überraschungsgast schneite zum Dessert meine Mutter herein. Sie setzte sich meinem Vater auf den Schoß. Ich schaute dem zweiten Frühling der beiden zu. Schaute ihnen zu, wie dämlich sie nach der Liebeswunderheilung lächelten. Ihr geistiges Alter hatte sich gesenkt. Nach einer Weile fragte mein Vater: «Jetzt fällt mir wieder ein, wolltest du mir nicht auch etwas sagen?» Ich stammelte, das könne warten. Und ging nach Hause, ohne die Rede, die ich mir schon zurechtgelegt hatte, losgeworden zu sein.
     
    Als ich schließlich im Bett lag, musste ich lächeln. Ich war betrübt, ich wusste, ich würde nicht einschlafen können, aber diese ganze Geschichte war lachhaft. Ich hatte genug Vergangenheit und Erfahrung, um über das Desaster lächeln zu können. Ich war Vater geworden, und meine Eltern waren wieder Kinder geworden. Teile meines Körpers fühlten sich durch die Trennung von Louise wie gelähmt an, andere Teile waren glücklich über das, was sie mit ihr zusammen erlebt hatten. Ich war seltsam aufgewühlt. Ich wollte das Leben, dieses Unkraut, beim Schopfe packen. Ich zog mich wieder an und ging raus. Es war kurz nach Mitternacht. Wenn ich mir die Szene jetzt wieder ins Gedächtnis rufe, denke ich mir, dass es kein Zufall war. Es sind die richtigen Impulse, die uns leiten. In ein paar Minuten sollte mir klar werden, warum ich noch mal rausgegangen war.
     
    Auf der Straße herrschte ein reges Treiben, die Leute bummelten herum und schienen mit dem Verlauf ihres Abends zufrieden. Nachts schlägt die Stunde der Erwachsenen. Ich befand mich unter Gleichaltrigen, und vielleicht war ich sogar zum ersten Mal seit Langem wieder in einer ausgeglichenen Stimmung. Auf einmal stand
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