Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs
Autoren: David Foenkinos
Vom Netzwerk:
noch im Bett, als sie erklärte, sie würde jetzt spazieren gehen. Sie gab mir einen Kuss, und schon war sie weg. Ich hatte keine Gelegenheit gehabt zu sagen, ich komme mit. Ich wusste weder, wo sie hin war, noch, wie lange sie wegbleiben würde. Als der halbe Vormittag vorbei war, begann ich, unruhig zu werden. Sollte ich vielleicht auch einen Spaziergang machen? Sollte ich auf sie warten? Ich ging kurz zum Zigarettenkaufen runter. Der Hunger war mir vergangen. Bestimmt eine Stunde lang stand ich rauchend und grübelnd am Fenster, während in mir langsam so etwas wie Wut aufstieg. Louise machte alles kaputt. Ich konnte ihr nicht mal eine SMS schicken; sie hatte ihr Handy demonstrativ auf dem Tisch liegen lassen. Wie um mir zu sagen: Versuch nicht, mich anzurufen. Gegen 14 Uhr stand sie auf einmal wieder vor mir, so, als sei nichts gewesen. Normalerweise entwich der Ärger, der sich in mir aufgestaut hatte, wenn ich sie ansah. Ihr Blick war so unschuldig, dass ich ihr alles verzieh. Sie schien immer ein reines Gewissen zu haben. Aber diesmal reagierte ich anders:
    «Du hättest mir ruhig was sagen können, wenn du so lange wegbleibst!»
    «Ich war im Museum und hab gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht … Entschuldige.»
    «So was macht man einfach nicht! Wir fahren zusammen übers Wochenende weg … und du verdrückst dich einfach stundenlang … und was mach ich in der Zeit? Wenn ich gewusst hätte, dass du so lange wegbleibst, hätte ich auch mal spazieren gehen können. Du denkst immer bloß an dich!»
    «Ach, jetzt bleib mal auf’m Teppich! So schlimm ist es nun auch wieder nicht! Du sagst immer, du bist gern allein.»
    «Ja, aber nicht, wenn ich mit dir zusammen wegfahre! Du bist zum Kotzen! Scheiß auf unsere Reise! Kannst gleich wieder abhauen und allein spazieren gehen!»
    «Ach komm …»
    «Ich mein’s ernst!!!»
     
    Sie wollte sich an mich heranmachen, aber ich stieß sie ziemlich heftig zurück. Sie stürzte zu Boden. Ich war nicht mehr zu bändigen in meiner Wut. Ich packte eine Nachttischlampe und schleuderte sie gegen die Wand. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so außer mir war. Die Lampe sprang in tausend Stücke. Ich wollte meinen Dampf ablassen, mich wie ein Rockstar aufführen, der das ganze Hotelzimmer kurz und klein schlägt, aber so läuft das nicht bei mir. Es kommt immer etwas dazwischen, eine kleine Ungeschicklichkeit holt mich ein, irgendetwas klappt nicht so ganz. Man muss sich vorstellen, die Lampe prallte gegen die Wand, ein Glassplitter prallte zurück und schlitzte mir die Wange auf. Ich betrachtete mich im Spiegel, ich blutete.Stand da wie gelähmt. Mir war sofort klar, ich hätte um ein Haar ein Auge verloren. Später sollte ich in einem meiner Notizbücher festhalten: «Liebe kann leicht blind machen; ist eine Millimetersache.» Louise war ganz verdattert von meiner Gewalttätigkeit. Es dauerte einen Moment, bis sie zu mir herübereilte und dann sagte: «Wir müssen schnell ins Krankenhaus.»
     
    Wir kamen in der Notaufnahme an, und Louise wies auf meine Wunde. Ein Sanitäter fragte uns auf Englisch, wie das passiert sei. Leider waren wir im Englischen nicht sehr bewandert. Ich bemühte mich, ein paar Brocken hervorzubringen, aber da ich ihm nicht die Wahrheit sagen wollte, musste ich etwas wirre Aussagen radebrechen, die auch ihn verwirren konnten. Ich weiß nicht recht, wie das bei ihm ankam. Louise konnte vor allen Dingen gut Deutsch. Um sich verständlich machen zu können, fragte sie also den spanischen Sanitäter, ob er Deutsch sprach. Folglich umspielte im nächsten Augenblick eine prononcierte Verblüffung seine Züge. Dabei musste dieser Mann doch an außergewöhnliche Fälle gewöhnt sein. Aber angesichts dieser beiden Franzosen, von denen der eine im Gesicht blutete und die andere versuchte, ihn dazu zu animieren, Deutsch zu sprechen, überlegte er wohl, ob er uns nicht gleich in die Psychiatrie einweisen sollte. Nachdem er den Schnitt in Augenschein genommen hatte, meinte er erst, ich hätte viel Glück gehabt (das hatte ich schon verstanden), anschließend ging er dazu über, die Wunde zu nähen (das habe ich dann gespürt). Louise hielt meine Hand und sprach mir Mut zu.«Halt durch, Lieber», sagte sie mit wiedergefundener Zärtlichkeit. Ein paar Minuten später war die Sache erledigt. Ich sah mich im Spiegel an, dann gesellte sich Louise zu mir, und wir schauten uns gemeinsam im Spiegel an. Dieses Paar war ja kaum mehr wiederzuerkennen. Auf einmal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher