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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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schlägt Tamara vor und zeigt mit dem Kinn auf den Mann, der wegen der Zigarettenkippe stehengeblieben war.
    – Zu arm.
    – Wir könnten einen Buchladen aufmachen?
    – Tamara, dafür brauchst du Startkapital. Monetos, capice? – Ich weiß.
    Es ist immer der gleiche Dialog. Tamara träumt, Frauke weckt sie.
    – Und schlag mir jetzt nicht das Arbeitsamt vor, sagt Frauke und klopft sich eine neue Zigarette aus der Schachtel. Sie bietet Tamara auch eine an, Tamara schüttelt den Kopf, Frauke steckt die Schachtel ein und gibt sich Feuer.
    – Ich habe Würde, sagt sie nach dem ersten Zug. Da bettele ich lieber auf der Straße.
    Tamara wünscht sich, Fraukes Charakterzüge würden ein wenig auf sie abfärben. Sie wäre gerne wählerischer. Bei Männern, bei der Arbeit, bei ihren Entscheidungen. Sie wäre auch gerne stolz, aber es ist schwer, wenn man nichts hat, worauf man stolz sein kann.
    Ich habe Frauke , denkt Tamara und sagt:
    – Du machst das schon.
    Frauke seufzt und schaut in den Himmel. Ihr Hals wird dabei lang, er ist weiß wie der von Schwänen.
    – Schau mal wieder runter, bittet Tamara sie.
    Frauke senkt den Kopf.
    – Wieso?
    – Mir wird schwindelig, wenn Leute in den Himmel schauen.
    – Was?
    – Wirklich wahr. Mir wird richtig übel davon. Ich glaube, das ist irgendeine Nervenkrankheit.
    – Du bist mir schon eine, sagt Frauke und grinst.
    Und da hat sie vollkommen recht, Tamara ist ihr schon eine.
    Eine Viertelstunde später teilen sie sich am Amtsgericht eine Portion Pommes und warten darauf, daß der 148er Richtung Zoo kommt. Frauke geht es besser. Sie stellt fest, daß sie manchmal überall nur Gewitterwolken sieht. Als Tamara ihr den Tip gibt, weniger Medikamente zu nehmen, verzieht Frauke nicht einmal den Mund und sagt:
    – Erzähl das meiner Mutter und nicht mir.
    Wilmersdorfer Straße steigen sie wieder aus dem Bus und betreten den Asia-Markt gegenüber von Woolworth. Frauke hat Lust auf Nudeln mit Gemüse aus dem Wok.
    – Es wird auch dir guttun, mal was Gesundes zu essen, erklärt sie.
    Tamara mag den Geruch in den Asia-Läden nicht. Er erinnert sie an Hauseingänge mit vollgepißten Ecken und ein wenig auch an eine Interrail-Reise, während der sie ihre Regel bekam und sich zwei Tage untenherum nicht waschen konnte. Am meisten stört es sie aber, daß sie sich schon nach einer Minute an den Geruch von getrocknetem Fisch gewöhnt hat, aber ganz genau weiß, daß er noch in der Luft liegt.
    Frauke kümmert das nicht. Sie legt Chinakohl, Zwergauberginen und Lauchstangen in den Korb. Sie wiegt eine Handvoll Sojasprossen ab und sucht eine Weile, bis sie die richtigen Nudeln gefunden hat. Dann rennt sie plötzlich zurück zum Gemüse, um Ingwer und Koriander zu holen. Der Koriander gefällt ihr nicht. Sie diskutiert mit einer Verkäuferin und will ein frisches Büschel. Die Verkäuferin schüttelt den Kopf. Frauke hebt den Koriander und sagt: Tot , dann tippt sie sich an die Brust und sagt: Lebendig. Die Verkäuferin hält Fraukes Blick eine Minute lang stand, bevor sie in den Lagerraum verschwindet und mit einem neuen Büschel zurückkommt. Tamara findet, daß das neue Büschel genauso aussieht wie das alte, aber sie sagt nichts, denn Frauke ist zufrieden. Sie bedankt sich bei der Verkäuferin mit einer angedeuteten Verbeugung und marschiert mit Tamara zur Kasse. Der Vietnamese dahinter ist so nett, wie man sich einen Onkel vorstellt, der einem unter den Rock greifen will. Frauke sagt ihm, daß er sich sein Grinsen sparen könne. Sein Mund wird ein Strich. Frauke und Tamara machen, daß sie aus dem Laden kommen.
    – Plan B, sagt Frauke und zieht Tamara zu einer der Telefonzellen. Plan B kann bei Frauke alles heißen, aber in vielen Fällen heißt es einfach nur, daß ein Plan A nicht existiert.
    Während Frauke telefoniert, beobachtet Tamara die Leute vor Tchibo. Obwohl es bedeckt ist, stehen sie gedrängt an den Tischen unter den Sonnenschirmen und haben sich die Einkaufstüten zwischen die Beine geklemmt. Omas mit Zigaretten in der einen und einer Kaffeetasse in der anderen Hand; Opas, die wortlos den Tisch bewachen und aussehen, als hätte man sie gezwungen, ihre Wohnung zu verlassen. Dazwischen zwei Bauarbeiter, die über ihren Tisch gebeugt essen, als dürften sie nicht auf den Bürgersteig krümeln. Milchkaffee mit Torte ist im Angebot. Tamara stellt sich vor, wie sie hier in dreißig Jahren mit Frauke steht. Frisch vom Friseur in ihren beigen Gesundheitsschuhen, die Plastiktüten
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