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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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verschränkt. Dir sind solche Skulpturen im Baumarkt aufgefallen. Manche halten ein Buch, andere haben Flügel auf dem Rücken. Du siehst schnell weg, du fühlst dich geblendet, obwohl die Sonne an diesem Tag blaß und erschöpft herabscheint.
    – Möchtest du etwas trinken?
    Sie bringt dir ein Glas Mineralwasser und stellt es auf den Couchtisch neben das Foto. Zwei Jungen auf einem Fahrrad. Sie grinsen, sie sind so jung, daß es schmerzt.
    – Ich dachte, ich sehe dich nie wieder, sagt sie und beugt sich vor, um eine Strähne aus deiner Stirn zu streichen. Intim. Nahe. Du zuckst nicht zurück. Deine Selbstbeherrschung ist perfekt.
    – Habe ich dir gefehlt? möchte sie wissen.
    Ich habe in den Nächten von dir geträumt , willst du ihr antworten, aber du bist dir nicht sicher, ob es der Wahrheit entspricht. Da sind Träume und da ist die Realität, und du irrst dazwischen herum und versuchst, die beiden mit großer Mühe auseinanderzuhalten.
    Sie lächelt dich an. In ihrem Blick ist jetzt nicht nur Neugierde, da ist auch eine Spur Verlangen. Du zwingst dich, nicht zur Skulptur zu schauen, du zwingst dich, ihr Lächeln zu erwidern. Dabei reißt etwas in dir. Lautlos wie ein Spinnenfaden. Ihr Verlangen istzuviel für dich. Und du dachtest, du hättest Selbstbeherrschung. Und du dachtest, du könntest das.
    – Ich müßte mal pinkeln.
    – Ach, schau mal an, schämst du dich etwa vor mir? fragt sie. Dein Gesicht ist rot, die Hände ballen sich unter der Tischplatte. Scham.
    – Es ist die zweite Tür von links, sagt sie und klopft dir aufs Knie. Beeil dich, sonst muß ich dich holen kommen.
    Lasziv, verspielt zwinkert sie dir zu. Ich bin nicht mehr neun Jahre alt! möchtest du sie anbrüllen, aber da ist nur eine kalte Starre in dir, und diese Starre läßt nichts durch. Du stehst auf und gehst in den Flur. Du öffnest die zweite Tür von links und schließt sie hinter dir. Vor dem Spiegel hebst du den Blick, doch deine Augen weichen dir aus. Es schmerzt, es schmerzt jedesmal von neuem. Du hoffst, daß es eines Tages anders wird, diese Hoffnung hält dich aufrecht und lindert den Schmerz.
    Bald ist es vorbei.
    Du kniest dich auf den Fliesenboden und klappst den Toilettendeckel hoch. Du bist leise, kein Keuchen, kein Stöhnen, nur ein Plätschern ist zu hören. Als nichts mehr kommt, nimmst du die Zahnbürste aus dem Zahnputzbecher und schiebst sie dir in den Hals, um sicherzugehen, daß dein Magen auch wirklich leer ist. Danach wäschst du dir die Hände und spülst deinen Mund aus. Bevor du das Bad verläßt, steckst du die Zahnbürste ein und wischst mit Toilettenpapier sorgfältig jede Fläche sauber, die du berührt hast.
    Bald.
    Sie sitzt noch immer auf dem Sessel und raucht – Arm angewinkelt und mit leicht nach hinten geneigtem Kopf, wenn sie Rauch aus ihrem Mund entweichen läßt. Auch diese Geste ist dir so vertraut, daß die Erinnerungen sich wie eine Handvoll Dias übereinanderlegen. Damals und Heute werden zum Jetzt, und das Jetzt wird zum Heute und zum Damals. Sie hält das Foto in der Hand und betrachtet es. Als du hinter ihr stehenbleibst, dreht sie den Kopf, und ihre Augen leuchten auf. Du richtest das Gas auf dieses Leuchten, bis die Dose leer ist und sie als wimmernder Haufen auf dem Boden liegt. Danach beginnst du, jede Spur von dir imZimmer zu entfernen. Du trinkst das Glas aus und steckst es ein. Das Foto ist ihr aus der Hand gefallen. Du hebst es auf und steckst es ein. Du bist vorsichtig, du bist genau, du weißt, was du tust. Als sie wegzukriechen versucht, drehst du sie auf den Rücken und setzt dich auf ihre Brust. Ihre Arme sind unter dir eingeklemmt, die Augen zugeschwollen. Sie bäumt sich auf, ihre Knie kommen hoch, die Fersen trommeln auf den Teppich. Du legst eine Hand fest über ihren Mund, und mit der anderen hältst du ihr die rotztriefende Nase zu. Es geht schnell.
     
    Du machst ein Päckchen aus ihr. Du drückst ihr die Oberschenkel an die Brust und schiebst ihr die Arme unter die Kniekehlen. Sie ist nicht groß. Du hast an alles gedacht. Zehn Tage Planung sind genug Zeit. Sie paßt in einen von diesen schwarzen 120-Liter-Müllbeuteln. Du trägst sie aus der Wohnung. Auf der Treppe begegnet dir ein alter Mann. Du nickst ihm zu, er nickt zurück. Es ist so einfach wie Müll runterbringen.
     
    Sie wird erst sehr spät wach.
    Du bist ein wenig enttäuscht gewesen, als du die Wohnung das erste Mal betreten hast. Sie war verdreckt und verlassen, sie hatte nichts von dem, was gewesen
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