Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark
Autoren: Thomas Huerlimann
Vom Netzwerk:
3
    Das Fräulein Stark, die Haushälterin, nahm die Mahlzeiten in der Küche ein und betrat das Eß-und Herrenzimmer nur, wenn Monsignore geklingelt hatte. Zwar blieb die Tür zwischen den beiden offen, so daß der Onkel das Suppenschlürfen der Stark und die Stark das Anknipsen seiner Zigaretten hören mußte, aber nie setzte sich dieses Paar an denselben Tisch, nie fielen sie miteinander ins Bett, und nicht einmal im Grab, wo beide seit längerem liegen, hat man sie zusammengelegt.
    Sie hieß Magdalena und war im Appenzellischen aufgewachsen, hoch oben in den Bergen. Ihre Mutter soll früh gestorben sein, im achten oder neunten Kindbett, doch schien dies den Vater, einen knorrigen Bergbauern, nicht bekümmert zu haben. Stumm war er vor diesem Tod gewesen, stumm war er nach diesem Tod, mißtrauisch gegen die Welt und noch mißtrauischer gegen die eigene Brut. Er haßte die kleine Magdalena, er haßte ihren Lehrer, und außer der Bibel, in der er tagtäglich einen Vers unter dem gekrümmten Zeigefingernagel zu enträtseln versuchte, haßte er alles, was geschrieben war: Gesetze, Zeitungen, Fahrpläne, Telephonbücher, Melkbroschüren, das Amtsblatt, sein Dienstbüchlein, ja sogar die Verordnungen zur Schweinezucht, von der er lebte. Auf entlegenen Alpen wurde übersömmert, fernab von Kirche und Schulhaus, und kaum war die Frau in der Erde verscharrt, zog er mit seiner Kinderschar ganzjährig in ein winddurchheultes, schon im Oktober im Winter versinkendes Schattental hinauf.
    War das Fräulein fromm? Vermutlich schon, doch muß es eine eigene, appenzellische und sehr weibliche Frömmigkeit gewesen sein. Vom blutigen Heiland wollte sie nichts wissen, das war eine Sache für Männer, ein dümmliches Geplänkel mit römischen Landsknechten und jüdischen Pharisäern. Die schwarze Madonna jedoch, die im hinteren Schiff der Kathedrale eine Art Grotte bewohnte, suchte sie Morgen für Morgen auf, hier war sie zu Hause, hier wurde sie ruhig, ihre niedere Stirn verlor die Falten, und plötzlich, das habe ich mehrmals beobachtet, lächelten beide das gleiche Lächeln, die holzgeschnitzte Madonna und die stämmige Magdalena Stark, die es aus den Appenzeller Bergen in die Stadt verschlagen hatte, in den ehrwürdigen Haushalt des Stiftsbibliothekars.
    Dieser wandelte in Glockenröcken durch sein Bücherhaus, und sie hatte am liebsten Hosen an. Er war ein Schmecker und Lecker, allerdings überzeugt, als Geisteskopf über die Ding- und Fleischeswelt erhaben zu sein, und sie gab sich als ehrliche Haut, als einfaches Gemüt. Für eine Appenzellerin war sie groß, jedenfalls größer als Monsignore, und er unterschied sich mit seinem Lippenfleisch, dem runden Bauch und einem Schalk, der ihm trotz des Römerkragens im Nacken saß, deutlich von der Hagerkeit seiner Vorgänger. Kam er spät in der Nacht mit zwei von Schmissen entstellten Altherren durch das Portal gestolpert, fiel es der Stark nicht schwer, die besoffenen Brüder zu verjagen und ihren Monsignore, der auf einmal friedlich wurde, durch das Labyrinth der Gestelle des Katalogsaals in seine von Vorhängen und einem Baldachin geschützte Bettstatt zu bugsieren. Das fand ich lustig, sogar zum Lachen, aber die Stark, nachts trug sie einen blauen Trainingsanzug, packte mich am Handgelenk und führte mich dann so entschieden in meine Kammer zurück, wie sie es eben mit Monsignore gemacht hatte. Sie schien es nicht zu mögen, daß ich mich für das nächtliche Onkelleben interessierte. Wenn er ins Kotzen kommt, befahl sie barsch, hältst du dir die Ohren zu, gute Nacht.
    Der Stiftsbibliothekar schrieb eine Broschüre nach der andern, und sie, die in einer buchstabenfeindlichen, bilderlosen Stube aufgewachsen war, malte in einer girlandenartig die Linie umrankenden Kinderschrift höchstens mal ihren Namen: Frl. Stark. Sie sprach ein näsliges, hinter der Stirn verhockendes Appenzellerisch, und er parlierte in allen Weltsprachen, lateinisch, französisch, italienisch, spanisch, englisch, angeblich auch russisch, paß auf, Nepos, rief er dröhnend, jetzt lache ich wie Iwan Abramowitsch, ho ho ho, he he he!
    Der Stiftsbibliothekar ließ ihr Taschen aus Krokoleder, modische Hüte, Regenschirme, Kölnischwasser und einmal sogar einen Rasierapparat für Damen schicken, und sie, die seine Geschenke hinter den Bücherreihen der unteren Gestelle versenkte, briet ihm Enten, braute zur Ochsenzunge eine Rotweinsauce, und während der Fastenzeit, wenn er zwanzig Kilo abspecken wollte, servierte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher