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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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Moment stirbst. Würdest du einfach verschwinden und nie wieder gesehen werden? Es war eine Vorahnung auf diesen Augenblick. Keine Kugel ist mehr nötig. Alles ist erstarrt.
    Du spürst die Dunkelheit um dich herum; du wartest darauf, daß Marrer weiterspricht, daß er das Foto herunternimmt und dich anschreit. Nichts geschieht. Das Foto schwebt vor deinen Augen, Marrers Mund bewegt sich nicht, und dann rückt die Dunkelheit näher. Sie kommt aus allen Ecken, sie füllt den Raum wie Flüssigkeit, wie warmes schwarzes Blut. Langsam und zähflüssig. Die Dunkelheit kriecht die Wände herunter, sie löst sich von der Decke, sie verläßt jede Ecke und jeden Winkel und beginnt, Marrers Füße zu umfließen und sich dir von allen Seiten zu nähern. Du bist nur noch ein lautloses Teilchen in einer lautlosen Welt, die sichnie wieder in Bewegung setzen wird. Und als die Dunkelheit dich vollständig umschließt, verschwindest du ebenso lautlos und ohne Spuren zu hinterlassen aus dieser Realität.

DANACH
    Es ist vorbei. Es gibt keine Zeit mehr. Ich warte, bis die Sonne aufgeht. Wenn die Sonne aufgegangen ist, werde ich aus dem Wagen steigen, und dann ist es vorbei. Ich habe den Kofferraum seit gestern nicht geöffnet, und so soll es auch bleiben, ich werde ihn nie wieder öffnen. An einer Tankstelle habe ich Erfrischungstücher und Glasreiniger gekauft. An einer anderen Tankstelle habe ich den Wagen ausgesaugt. Ich habe das Innere geputzt, und seitdem sitze ich hier und warte darauf, daß die Sonne aufgeht.
    Der Anblick ist berauschend. Ich weiß, daß er Frauke gefallen würde. All das Licht und die Ruhe, die am Anfang eines Tages über einer Stadt liegen. Ich weiß, was Wolf jetzt sagen würde. Er würde mich an sich drücken und mir Wärme geben. Er würde sagen: Frierst du? Und ich würde nicken, und seine Hände wären überall, um mich zu wärmen.
    Wie mir seine Wärme fehlt.
    Wie mir seine Wärme fehlt.
    Der Himmel leuchtet purpurn, und langsam löst sich dieser Purpur auf und wird blaß und zerfließt zu einem matten Blau. Die Sonne erinnert an flüssiges Quecksilber. Ich kann den Blick nicht von ihr nehmen. Ich halte so lange durch, bis meine Augen in Tränen schwimmen, dann kneife ich die Augen zu, und die Sonne scheint hinter meinen geschlossenen Lidern weiter.
    Autos fahren vorbei. Ein Bus. Ein knatterndes Moped. Mehr Autos. Ich warte die Ampelphase ab, greife nach meiner Tasche und steige aus. Die Morgenluft ist frisch und klar. Vielleicht laufe ich runter bis nach Friedenau. Ich kann das, wenn ich will, kann ich das. Vielleicht stelle ich mich unter Jennis Fenster und rufe ihren Namen. Vielleicht auch nicht. Ich verschließe den Wagen, gehe ein paar Meter und bleibe auf der Brücke stehen. Ich schaue auf den Lietzensee hinunter. Alles schläft noch. Im Hotel brennen vereinzelteLichter, die Bäume haben noch keine Schatten. Obwohl es so früh ist, sitzen ein paar Leute am Wasser. Vielleicht haben sie hier geschlafen, vielleicht sind die Frühlingsnächte schon so warm, daß man draußen schlafen kann. Sie sitzen auf einer Decke und haben die Beine von sich gestreckt, ihre Stimmen sind fein und dünn. Einer von ihnen hockt am Ufer und raucht eine Zigarette. Einer blickt auf und sieht mich. Wolf. Er hebt beide Arme, als würde er ein Flugzeug auf eine Landebahn dirigieren. Ich winke ihm zurück. Die anderen schauen jetzt auch hoch. Und da ist Frauke, mal wieder völlig in Schwarz gekleidet und übermüdet, aber sie lacht, ich kann ihr Lachen sehen, warm wie Sonnenlicht, warm und gleichzeitig überall. Sie winkt, sie drückt eine Hand auf ihr Herz, dann drückt sie die Hand an ihren Mund und schickt mir einen Kuß. Und ich weiß, ich sollte weitergehen, aber ich kann sie nicht allein lassen, es fällt so schwer. Und Wolf legt den Arm um Frauke, und der Mann am Ufer schnippt seine Zigarette weg und holt aus und wirft einen Stein übers Wasser, und die anderen unterhalten sich weiter, als ob nichts gewesen wäre, während der Stein einmal, zweimal, dreimal über die Wasseroberfläche springt, ehe er lautlos in der Tiefe verschwindet.
     
    Ende

 
     
     
    MEIN DANK GEHT AN
     
    Gregor, ich habe dich mit diesem Roman immer wieder von neuem gequält, bis du herausgefunden hast, wie sehr ich mich selbst damit quälte, und mich zur Seite nahmst und mir sagtest, daß alles gut werden wird. Gracias.
    Peter & Kathrin für euren Enthusiasmus und eure Kritik.
    Daniela, weil du nie Zweifel hattest, als ich voller Zweifel war,
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