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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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liegst auf dem kühlen Gras.
    Du siehst aus wie der letzte Penner, deine Trainingsjacke ist an zwei Stellen eingerissen, deine Hose ist mit Erbrochenem beschmiert und die Hände voller Blut.
    Nachdem du dich an der Hauswand hochgezogen hast, schaust du nach rechts, und ein heiseres Lachen bricht aus dir heraus. Auf der anderen Uferseite ist die Villa zu sehen. Du erkennst die zwei Türme und den Schuppen. Durch dieses Eingangstor bist du vor acht Tagen mit deinem Einsatzteam gefahren, nachdem Geraldeuch zusammengetrommelt hatte. Du warst an dem Tag vollkommen ahnungslos. Es ging so schnell. Plötzlich standen sie dir gegenüber. Frauke Lewin, Tamara Berger, Wolf Marrer. Du hast jeden Moment erwartet, daß einer von ihnen auf dich zeigt.
    Hallo, ich bin Lars Meybach, wie geht es denn so?
    Nur Kris hat an dem Tag gefehlt. Als hätte jemand das wichtigste Puzzleteil entfernt, das aus all den Fragmenten ein Ganzes macht. Wäre Kris dagewesen, wäre euer Zusammentreffen eine Woche später im Hausflur deines Mietshauses zu einem Fiasko geworden.
    Vielleicht hast du Glück gehabt, vielleicht hat das Schicksal auch nur mit dir gespielt.
    Du wendest dich von der Villa ab und gehst quer durch den Garten zur Straße. Ein Wagen fährt vorbei, du entscheidest dich für dieselbe Richtung und folgst ihm. Deine Schritte sind anfangs unsicher, aber nach hundert Metern geht es besser. Du streckst vorsichtig dein Kreuz und atmest durch. Dein Körper begreift langsam, daß es weitergeht.
    Als der S-Bahnhof vor dir auftaucht, lehnst du dich für einen Moment gegen ein geparktes Auto und ruhst dich aus. Es scheint die pure Ironie zu sein, daß dich der Alte an den Wannsee verschleppt hat. Wie konnte dir das alles nur passieren? Du hast es anders geplant, du dachtest, die Kontrolle würde bei dir liegen. Du hast definitiv keine Ahnung, was es heißt, die Kontrolle zu haben.
     
    Die Leute in der S-Bahn halten Abstand zu dir. Du hoffst sehr, daß niemand auf die Idee kommt, dich nach deinem Fahrschein zu fragen. Ein Obdachloser läuft durch den S-Bahn-Waggon und ignoriert dich.
    Für eine Weile sitzt du vorgebeugt und starrst auf die Wunden in deinen Handflächen. Tetanus , denkst du, ich brauche dringend eine Tetanusspritze. Es kommt dir vor, als würde die Bahn an jeder Station doppelt so lange halten wie sonst. Du blickst auf und siehst, daß ihr am Nikolassee steht. Die Bahn fährt weiter. Der Bahnhof verschwindet, deine Spiegelung ist im Fenster zu sehen. Deine Augen. Wie gut es tut, daß du dich wieder ansehen kannst. Niemand würde dir glauben, wie wichtig es für einen Menschenist, sich wirklich zu sehen. Lebenswichtig. Du zwinkerst dir zu. Du ballst die Hände. Der Schmerz ist so klärend, daß dir Tränen über die Wangen laufen.
     
    Du bist kein Mörder, du bist nur ein verlorener Mensch, der auf der Suche nach sich selbst ist. Er kann noch so verloren sein, wenn er die Chance sieht, sich selbst zu finden, wird er die Chance nutzen. Und morden. Und aus dem Falschen das Richtige machen. Das ist die Gerechtigkeit dieser Welt, wie du sie siehst.
    Fanni und Karl.
    Du hast alles über ihr Leben herausgefunden. Die anderen Namen im Adressbuch interessierten dich nicht. Es ging nur um Fanni und Karl. Und mitten in deine Nachforschungen hinein, mitten in das immerwährende Gefühl von Schuld und Sühne, setzte sich dein Chef eines Mittags mit dir und drei weiteren Kollegen zum Essen in eines dieser schicken Restaurants. Ihr hattet eben die Bestellung aufgegeben, als Gerald von einer Freundin erzählte, die eine Agentur gegründet habe. Eine Agentur, die sich entschuldigt. Für andere. Ihr habt gelacht, und dein Lachen klang als einziges falsch. Du warst dir sicher, dich verhört zu haben. Dir fiel die Geschichte von dem Automotor ein, der mit einem Teil Benzin und neun Teilen Wasser funktioniert. Mythen. Aber wie bei jedem Mythos stellte sich sofort die Frage: Was wäre, wenn? Du hast weitergegessen und die Information verdaut, Gerald sah dir die Zweifel an und riet dir, dich im Internet umzusehen. Genau so fing alles an.
     
    Es ist ein komisches Gefühl, kurz vor Mitternacht am S-Bahnhof Charlottenburg aus der Bahn zu steigen und die dreihundert Meter nach Hause zu laufen, als wäre nichts geschehen. Vorbei an den Leuten in den Cafés und Restaurants, vorbei an all diesen Sterblichen, die dir mißtrauische Blicke zuwerfen und nicht wissen, wie es ist, von einem alten Mann beinahe erschlagen zu werden.
    Im zweiten Stock bleibst du vor
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