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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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rechte Auge schließt sich, als wäre es müde. Du öffnest es wieder, es bleibt offen. Du folgst ihrem starren Blick. Es ist gut so, du mußt nichts korrigieren, alles ist richtig.

TEIL I

danach
    In der Dunkelheit deiner Gedanken möchte ich ein Licht sein.
    Ich habe keine Idee, wer das geschrieben hat. Ich erinnere mich nur an den Zettel, der eines Tages in der Küche an die Wand gepinnt war.
    In der Dunkelheit deiner Gedanken ...
    Ich will, daß jemand mit einer Taschenlampe aus dem Wald tritt und den Lichtstrahl auf mein Gesicht richtet. Gesehen werden kann so wichtig sein. Egal, von wem. Ich verschwinde mehr und mehr in mir selbst.
    Es ist der Tag danach. Meine Hand liegt auf dem kalten Metall der Heckklappe. Ich lausche, als könnten meine Fingerspitzen die Vibrationen hören. Ich brauche mehr Zeit, ich bin noch nicht fähig, den Kofferraum zu öffnen. Vielleicht nach weiteren hundert Kilometern, laß es tausend sein.
    ... möchte ich ein Licht sein.
    Ich steige ein und starte den Motor. Sollte irgend jemand eines Tages meinen Weg nachverfolgen, wird er sich in der Zusammenhanglosigkeit verlieren. Ich bewege mich durch Deutschland wie eine Laborratte durch ein Labyrinth. Ich taumle und bin bei jedem Schritt unsicher, schlage Haken, drehe mich im Kreis. Aber was ich auch tue, ich bleibe nicht stehen. Stehenbleiben kommt nicht in Frage. Sechzehn Stunden werden zu sechzehn Minuten zusammengerafft, wenn man ohne Ziel unterwegs ist. Die Grenzen der eigenen Wahrnehmung beginnen zu zerfasern, und alles erscheint ohne Sinn. Selbst der Schlaf verliert seine Bedeutung. Ich wünschte, da wäre ein Licht in der Dunkelheit meiner Gedanken. Aber da ist kein Licht. So bleiben mir nur die Gedanken.

davor
KRIS
    Bevor wir über dich sprechen, möchte ich dir die Menschen vorstellen, denen du bald begegnen wirst. Es ist ein kühler Tag Ende August. Die Sonne steht überdeutlich klar am Himmel und erinnert an das flackernde Leuchten von Lichtschaltern in Hausfluren. Die Leute wenden der Sonne ihre Gesichter zu und wundern sich, war um so wenig Wärme zurückkommt.
    Wir befinden uns in einem kleinen Park mitten in Berlin. Hier nimmt alles seinen Anfang. Ein Mann sitzt am Wasser auf einer Parkbank. Sein Name ist Kris Marrer, er ist neunundzwanzig Jahre alt und wirkt wie ein Asket, der vor langer Zeit beschlossen hat, kein Teil der Gesellschaft zu sein. Kris weiß nur zu gut, daß er ein Teil der Gesellschaft ist. Er hat die Schule und das Studium beendet. Er fährt gerne ans Meer, liebt gutes Essen und kann stundenlang über Musik reden. Auch wenn er nicht will, gehört Kris Marrer definitiv dazu, und das bekommt er an diesem Mittwoch morgen deutlich zu spüren.
     
    Er sitzt so auf der Parkbank, als wolle er jeden Moment aufspringen. Sein Kinn ist vorgestreckt, die Ellbogen liegen auf den Knien. Heute ist kein guter Tag, schon beim Erwachen wußte er, daß es kein guter Tag werden würde, aber dazu kommen wir später. Wichtig ist im Moment, daß er es bereut, sich ausgerechnet diese Parkbank am Urbanhafen ausgesucht zu haben. Er dachte, ein paar Minuten Ruhe, um zu sich zu kommen, wären genau das richtige. Er hat falsch gedacht.
    Einige Meter entfernt sitzt eine Frau im Gras. Sie ist angezogen, als würde sie nicht glauben wollen, daß der Sommer vorbei ist. Ärmelloses Kleid, Sandalen. Das Gras um sie herum sieht erschöpft aus, der Boden ist klamm. Ein Mann steht vor der Frau und redet auf sie ein. Seine rechte Hand ist wie eine Axt, die lautlos durch die Luft schneidet. Scharf, kantig, schnell. Jedesmal, wenn der Mann auf die Frau zeigt, zuckt sie zusammen. Das Paar ist nicht einmal besonders laut, dennoch hört Kris klar und deutlich jedes ihrer Worte.
    Er weiß jetzt, daß der Mann fremdgegangen ist. Die Frau glaubt ihm nicht. Als der Mann aufzählt, mit wem er alles geschlafen hat, beginnt die Frau ihm zu glauben und nennt ihn einen Bastard. Er ist ein Bastard, daran führt nichts vorbei. Er lacht ihr ins Gesicht.
    – Was hast du gedacht? Dachtest du, ich würde dir treu sein?
    Der Mann spuckt der Frau vor die Füße, wendet ihr den Rükken zu und geht. Die Frau beginnt zu weinen. Sie weint lautlos, die Leute reagieren, wie die Leute reagieren, und schauen woandershin. Die Kinder spielen weiter, und ein Hund bellt aufgeregt eine Taube an, während eine gleichgültige Sonne nichts sieht, was sie nicht schon längst gesehen hat.
    An solchen Tagen muß es regnen , denkt Kris. Niemand sollte sich von einem Menschen trennen,
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