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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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kann. Dennoch wagt sie es nicht, vor ihre Tochter zu treten. Denn was ist, wenn dieses Gefühl der Entfremdung eines Tages wiederkehrt? Wer sagt, daß Tamara nach zwei Tagen an der Seite ihrer Tochter nicht wieder die Flucht ergreift? Es gibt keine Garantien. Tamara würde alles geben für ein paar Garantien.
     
    Das war es beinahe. Du hast sie jetzt fast alle kennengelernt. Kris und Frauke und Tamara. Es fehlt der Vierte im Bund. Sein Name ist Wolf. Er wird der einzige sein, dem du nur für einen kurzen Moment persönlich begegnen wirst, was schade ist, denn er ist dir ähnlich, ihr hättet euch gut verstanden. Beide lauft ihr schuldig durchs Leben. Der große Unterschied ist, daß Wolf seine Schuld zu Unrecht als solche empfindet, während du dir deiner Verantwortung voll und ganz bewußt bist und deswegen langsam durchdrehst.
    Wolf ist in diesem Moment keine zehn Meter von Frauke und Tamara entfernt. Er hat einen Bücherstapel in den Armen, und auch wenn er es nie zugeben würde, wäre er recht froh über ein wenig Gesellschaft.
    Lassen wir ihn nicht warten.

WOLF
    Eine Zeitlang fuhr Wolf einen Lieferwagen. Frühmorgens raus und zum Großmarkt, danach die Obststände und kleinen Supermärkte im Kiez beliefern. Darauf folgte eine Phase, in der er für verschiedene Plattenlabel die Runde machte und Promo-CDs in den Läden verteilte. Aber auch das war nicht das richtige. Bücher vor der Uni zu verhökern gefällt ihm dagegen. Es gibt nette Studentinnen, die gerne handeln und auf einen Kaffee mitkommen. Außerdem ist Wolf an der frischen Luft und kann lesen, sobald nichts los ist. Die Bücher besorgt er sich meistens bei Hugendubel oder Wohlthat. Heute ist Woolworth an der Reihe.
    Wolf ist eine von diesen Schriftstellergestalten, die sich nur vorsichtig an das Schreiben heranwagen. Er sagt, er sammelt Erfahrungen, aber in Wahrheit kaschiert er damit, daß er sich nicht sicher ist, was er zu erzählen hat. Sein erster großer Roman wartet darauf, geschrieben zu werden. Kurzgeschichten und Gedichte sind die Brücke, auf der er sich diesem Traum nähert.
    Seit dem Aufwachen hat Wolf einen großartigen Dialog im Kopf, er will nur noch diesen Stapel Bücher kaufen, um sich dann in ein Café zu setzen und die Worte zu ordnen. Er weiß nicht, daß sein Kurs vorherbestimmt ist.
    Auf dem Weg zur Kasse sieht er Frauke.
    Wolf will sich ducken. Er hat nichts gegen Frauke, er hat sogar sehr viel für sie übrig, sie schreiben sich Mails, sie telefonieren, aber nichts führt daran vorbei, daß zwischen den beiden eine Menge Vergangenheit steht, und manchmal will Wolf Frauke deswegen nicht sehen. Vergangenheit kann wie ein Mühlstein sein, der einem im unpassendsten Moment um den Hals gehängt wird.
    In Momenten wie diesen.
    Männer lassen ungern ihre Niederlagen gehen, sie durchleben sie wie einen schlechten Film immer wieder von vorne und genießendie Bitterkeit des Verlustes, als wäre sie etwas Kostbares. Wenn Wolf an seine Zeit mit Frauke zurückdenkt, denkt er nicht wirklich an Frauke. Er denkt an die Frau, die die Erinnerung an Frauke ausgelöscht hat. Genau da kommt Sand ins Getriebe, und die Maschinerie seiner Gedanken beginnt zu stocken.
     
    Ihr Name war Erin. Zwei Wochen, jede Stunde, jede Minute klebten Wolf und sie zusammen. So muß Liebe sich anfühlen , dachte Wolf damals, denn alles schien fokussiert und überscharf. Die Sinne waren überreizt, der Magen dauernd hungrig. Wenn Wolf auf die Toilette ging, ließ er die Tür offenstehen, um Erin weiter zuzuhören. Und zuhören war angesagt, denn diese Frau konnte reden. Es war unglaublich. Alles, was sie sagte, fand Wolf richtig und gut. Natürlich kam auch eine Menge Blödsinn aus ihrem Mund, aber das hat Wolf in dieser kurzen Zeit keine Sekunde gestört. Sein Kopf verwandelte auch den Blödsinn in messerscharfe Philosophie. Wolf gehörte ihr ganz und gar.
     
    Erin war es, die sich Wolf ausgesucht hatte. Es geschah im Nachtbus. Wolf war nach einem Konzert auf dem Weg nach Hause. Erin stellte sich neben ihn, sagte Hi, und dann sagte sie ihren Namen. Erin . Es klang wie eine Frage. Wolf, sagte Wolf und ließ es wie eine Antwort klingen. Sie nahm ihn bei der Hand, der Bus hielt, sie stiegen aus und hatten einige Meter von der Bushaltestelle entfernt auf einem verlassenen Spielplatz das erste Mal Sex miteinander. Es ging schnell. Ohne Worte. Wolf kam sofort.
    – Endlich, sagte Erin danach.
    – Endlich, sagte auch Wolf und wußte, daß sie gleich verschwinden und er sie
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