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Sorry

Titel: Sorry
Autoren: Zoran Drvenkar
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nimmt die Zigarette, obwohl sie nicht raucht. Tamara raucht nur, wenn Frauke ihr eine Zigarette anbietet. Sie will ihre Freundin nicht enttäuschen und leistet ihr deshalb Gesellschaft.
    Manchmal weiß Tamara nicht, ob es für Frauen ihres Schlages einen Namen gibt. Passivraucherin paßt nicht.
    – Wie bist du heute morgen überhaupt aus dem Bett gekommen? will Frauke wissen.
    Sie haben die Nacht zuvor in einer Disco durchgetanzt und waren so betrunken gewesen, daß sie sich nicht einmal voneinander verabschiedet haben.
    Tamara erzählt von dem geschlossenen Arbeitsamt und dem Kaffee in der Bäckerei. Dann zieht sie an der Zigarette und hustet. Frauke nimmt ihr die Zigarette weg und tritt sie aus.
    – Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, daß du wie eine Tunte rauchst? Leute wie du sollten nicht rauchen.
    – Wem sagst du das.
    Sie beobachten die wenigen Spaziergänger, die sich bei solch einem Wetter in den Park wagen. Der Lietzensee glänzt, als wäre seine Oberfläche aus Eis. Eine schwangere Frau mit Kinderwagen bleibt am Ufer stehen und legt beide Hände zufrieden auf ihren Bauch. Tamara sieht schnell weg.
    – Wie alt sind wir? fragt Frauke.
    – Du weißt, wie alt wir sind.
    – Macht dir das keine angst?
    Tamara weiß nicht, was sie dazu sagen soll. Ihr machen im Moment ganz andere Dinge angst. Letzte Woche hat sie sich von einem Musiker getrennt, der sie in der U-Bahn angesprochen hatte. Seine Idee von einer Beziehung ist die gewesen, daß Tamara tagsüber von seinem Talent schwärmt und am Abend den Mund hält, wenn seine Freunde zum Jammen vorbeikommen. Tamara ist nicht gerne allein. Einsamkeit ist für sie eine Strafe.
    – Ich meine, macht dir das keine angst, daß wir zehn Jahre nach dem Abitur noch immer hier am Denkmal sitzen und sich nichts verändert hat? Wir kennen jede Ecke hier. Wir wissen, wo die Penner ihre Tüten mit Pfandflaschen verstecken, wir wissen sogar, wo die Hunde mit Vorliebe hinpissen. Ich fühl mich wie ein alter Schuh. Stell dir vor, wir würden jetzt zu einem Klassentreffen gehen. Mensch, die würden uns doch auslachen.
    Tamara erinnert sich an das letzte Klassentreffen vor einem Jahr und daß es dort niemandem wirklich gutging. Zwölf waren ohneJob, vier versuchten sich als Versicherungsvertreter über Wasser zu halten, und drei hatten sich selbständig gemacht und standen kurz vor der Pleite. Nur einer Frau ging es richtig gut, sie war Apothekerin und gab mächtig damit an. Soviel zum Abitur.
    Aber Tamara glaubt nicht, daß das wirklich Fraukes Problem ist.
    – Was ist passiert? fragt sie.
    Frauke schnippt die Zigarette weg. Ein Mann bleibt prompt stehen und blickt auf die Kippe zu seinen Füßen. Er berührt sie mit seinem Schuh, als wäre sie ein erlegtes Tier, dann sieht er zu den zwei Frauen auf der Parkbank.
    – Hau bloß ab! ruft Frauke ihm zu.
    Der Mann schüttelt den Kopf und geht weiter. Frauke zieht die Nase hoch und grinst. An Tagen wie diesen kann Tamara deutlich erkennen, daß Frauke noch immer ein Kind der Straße ist. Während Tamara darum kämpfen mußte, auch nur für eine Stunde die Wohnung verlassen zu dürfen, war Frauke um die Häuser gezogen und hatte sich von niemandem was sagen lassen. Die Mädchen sahen sie als Anführerin und blickten zu ihr auf, während die Jungs ihre Sprüche fürchteten. Frauke hatte schon immer Stolz und Würde. Jetzt arbeitet sie als freie Mediengestalterin, nimmt aber nur Aufträge an, die ihr gefallen, was sie am Monatsanfang oft ohne Geld dastehen läßt.
    – Ich brauche einen neuen Auftrag, sagt sie, irgendeinen, verstehst du? Aber richtig dringend. Mein Vater hat wieder eine Neue, und die Neue ist der Meinung, ich müßte mal lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich meine, he, bin ich vierzehn, oder was? Er hat mir den Scheck gestrichen. Einfach so. Kannst du mir sagen, mit was für Schlampen sich mein Vater abgibt? Die sollen mal bitte schön alle an meiner Tür klingeln, denen würde ich was erzählen.
    Tamara hat das Bild deutlich vor Augen. Sie weiß nicht, ob es für Fraukes Vaterkomplex einen lateinischen Namen gibt. Egal, welche Frau sich auf den Vater einläßt, sie erlebt die Tochter als Furie. Ein paarmal ist Tamara mit dabeigewesen, und das sind keine schönen Erinnerungen. Tamara sieht in dem Vater das Problem und nicht in den Freundinnen, aber diesen Gedanken behält sie für sich.
    – Und jetzt? fragt Frauke plötzlich kraftlos. Was mache ich jetzt?
    – Wir könnten jemanden überfallen,
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